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Freitag, 15. August 2008

1. MEDIENHAUS Netzwerk-Tagung: Social Networks 2008 / Jahrestreffen Netzwerk Recherche 2009

Jahrestreffen Netzwerk Recherche - Personenrecherche in Sozialen Netzwerken
+++ Juni 2009: Demnächst finden Sie hier eine aktualisierte Version dieses Vortrags in Form eines Artikels für die Zeitschrift "Message". +++ Stets aktuelle Artikel zum Thema Journalismus und Internet finden Sie in meiner Bookmark-Sammlung bei Delicious unter delicious.com/onlinejournalismus (abgekürzter URL: tinyurl.com/onliner) - auch das Stöbern in den rund 7.000 verschlagworteten Artikeln dort lohnt.

Kurz-Präsentation zum Vortrag "Personenrecherche in sozialen Netzwerken" beim Netzwerk Recherche am 05.06.2009, (PDF, 11 S., 84 kb)


1. MEDIENHAUS Netzwerk-Tagung
16. und 17. August 2008, Frankfurt Main


Social Networks - Risiken und Chancen (nicht nur) für junge Journalisten

Social Networks aus der Perspektive eines Journalisten
Sie finden hier die Vortrags-Präsentation (PPT, 332 KB) und den Artikel "Deckname Moser" unter netzjournalist.twoday.net/stories/5126120
verkürzte Internet-Adresse: www.tinyurl.com/66qse6


Social Networks - In ist, wer drin ist ...
Überblick zu sozialen Netzwerken in Deutschland


Frank Patalong: Social Network "Wer kennt wen?": Das Dieter-Birgit-Kevin-Netz. In: Spiegel Online vom 15.08.2008,
www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,571489,00.html
www.tinyurl.com/6mfytd
Unterhaltsamer Artikel über den seltsamen Überflieger unter den deutschen Social Networks.

Inge Kutter: Ausziehen 2.0: Warum man sich in Online-Netzwerken so leichtfertig entblößt, obwohl das alle sehen können. Wirklich alle! In: Zeit Campus Nr. 3, Mai/Juni 2008, S. 98-107. Online unter:
www.zeit.de/campus/2008/03/online-netzwerke?page=all
www.tinyurl.com/4dvcy5
Titelgeschichte, die sich vor allem mit StudiVZ beschäftigt.

Don Alphonso: 100 zornige Zeilen: Die sorglose Masse. In: U_Mag, April 2008. Online unter:
www.umagazine.de/artikel.php?ID=32810&page=1
www.tinyurl.com/6sxvz3
Zornige Zeilen, diesen Anspruch löst Don Alphonso versiert ein.


Recherche: Nur "Witwenschütteln 2.0"?

Thomas Knüwer: Die Social-Networks-Schüttler von RTL und "Bild am Sonntag". In: Indiskretion Ehrensache vom 08.01.2008,
blog.handelsblatt.de/indiskretion/eintrag.php?id=1645
www.tinyurl.com/67hzpd
"Nun schütteln die Sensations-Pseudo-Journalisten nicht mehr Witwen, sondern Social Networks."

Lupo: Witwenschütteln 2.0. In: Bildblog vom 06.01.2008, www.bildblog.de/2704/witwenschuetteln-20
www.tinyurl.com/6nqkpz
Wie funktioniert Witwenschütteln im Netz, was ist das überhaupt.
Immer lehrreich ist obendrein das Ressort Grob Fahrlässiges des Bildblogs: www.bildblog.de/ressort/grob-fahrlssiges/
www.tinyurl.com/2wkokx

Datenstrip im Netz - Der Missbrauch persönlicher Profile. In: Zapp (Medienmagazin des Norddeutschen Rundfunks) vom 13.02.08
www3.ndr.de/ndrtv_pages_std/0,3147,OID4585046,00.html
www.tinyurl.com/5zrrlk
Video (9 Minuten) unter: www3.ndr.de/ndrtv_pages_video/0,,OID4585046_VID4584886,00.html
www.tinyurl.com/68xqdy
Datenschutz, peinlicher Datenstrip, Missbrauch durch Medien - in diesen Beitrag wurde viel reingepackt.

Kirstin Marquardt: Empfehlungen für Journalisten in sozialen Netzwerken. In: Website der Akademie für Publizistik Hamburg vom 03.02.2009.

Carolin Neumann: Wie man Social Networks für Recherchen nutzt. In: medienlese vom 25.02.2009.

Karriere: Mein Identitätsmanagement 2.0
Wie kann ich soziale Netzwerke für mich nutzen


Friedhelm Weidlich: Xing: Die große Zeitvernichtungsmaschine. In: "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" vom 10.08.2008, online unter:
www.faz.net
www.tinyurl.com/5vwuc8
Angenehm kritischer Artikel über den Nutzen von Xing, aus Sicht eines Journalisten.

Thomas Mrazek: Xing: "Damit jeder jeden kennt" und Interview: Ein Katalysator für die Aktiven. In "BJV Report" 6/2007 des Bayerischen Journalisten-Verbands (BJV). Online als PDF unter: netzjournalist.twoday.net/stories/5125601/
www.tinyurl.com/5jvg87
Zwei Artikel zum Thema Xing für Journalisten


Kontakt:

Thomas Mrazek

"journalist"-Artikel "Deckname Moser"

Abbildung des Journalist-Artikels in Briefmarken-FormDieser Artikel erschien in der Ausgabe 6/2008 der Zeitschrift "journalist", Autor ist Thomas Mrazek. Anlässlich der 1. MEDIENHAUS Netzwerk-Tagung (MEDIENHAUS - Zentrum für evangelische Publizistik und Medienarbeit, Frankfurt/Main): "Social Networks - Risiken und Chancen (nicht nur) für junge Journalisten" habe ich diesen Artikel noch mal online publiziert, außerdem finden Sie hier noch weitere Literaturhinweise und meine Präsentation zu der vorgenannten Tagung.

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Deckname Moser

Soziale Netzwerke wie StudiVZ, MySpace oder Xing können eine ergiebige Quelle für Journalisten sein. Doch sollte die Recherche mit Fingerspitzengefühl erfolgen. Der "journalist" dokumentiert einen Fall, der Aufsehen erregte.


Rund acht Millionen Deutsche sind derzeit in so genannten sozialen Netzwerken im Internet registriert. Ob bei StudiVZ, SchülerVZ, MySpace, Xing oder Lokalisten - in mehr als 150 Angeboten kommunizieren die Nutzer miteinander und stellen sich selbst dar. "Eine Tatsache, die sich ‚Bild' schamlos zu Nutze macht", schrieb der Journalist Martin Kaul in einem "taz"-Artikel: "Als Anfang März in Hamburg beinahe eine Lufthansa-Maschine abgestürzt wäre, ‚enthüllte' ‚Bild' ‚das traurige Geheimnis der schönen Pilotin' auf ihrer Titelseite - ein Blick ins StudiVZ reichte, um herauszufinden, was die Hobbys und Vorlieben, was die Ängste von ‚Maxi J. (24)' waren."

Alle Quellen nutzen
Bildblogger Christoph Schultheis kommentierte das so: "Das Stöbern nach Privatdaten im StudiVZ gehört mittlerweile offenbar zum Handwerkszeug jedes ‚Bild'-Redakteurs." Tobias Fröhlich, Pressesprecher der Axel Springer AG, sieht darin nichts Anrüchiges: "Natürlich nutzen ‚Bild'-Redakteure, wie im Übrigen alle anderen Journalisten auch, alle verfügbaren Informationen im Internet für die Recherche. Inwieweit diese Informationen Bestandteil eines Artikels werden, hängt natürlich ganz vom Einzelfall ab."

Auch der Journalist Hubert Denk nutzte StudiVZ für eine Recherche. Im Februar 2007 ereignete sich in Passau der Mord an der 21-jährigen Studentin Caroline B. Denk, der ein Pressebüro in der bayerischen Stadt betreibt, arbeitet auch für Boulevardzeitungen. Er schildert sein Vorgehen: "Meine Praktikantin wies mich darauf hin, dass Caroline bei StudiVZ registriert ist." Denk begutachtete das Angebot und fand schon auf der ersten Seite Anhaltspunkte: "Ich konnte den Kontakt zu drei Freundinnen von Caroline herstellen, mit denen ich per E-Mail und telefonisch korrespondierte," sagt Denk. "Als Journalist muss ich schließlich alle Quellen nutzen."

Fünf von Carolines Freundinnen waren mit Foto und Klarnamen auf ihrer Seite abgebildet. Denk sicherte die Seite per Screenshot, zwei oder drei Tage später habe StudiVZ die Seite entfernt, sagt Denk. Er stufte Carolines Nutzerprofil als "nicht ernstzunehmende Darstellung" ein. In dem Profil sind neben persönlichen Daten wie Geburtsort und -tag, auch Angaben zu besuchten Schulen und der Studienrichtung sowie persönliche Hinweise etwa zu Interessen, Musikgeschmack, Lieblingsbüchern und -filmen hinterlegt. Einige von Carolines Angaben waren auch für Außenstehende deutlich als Unsinn auszumachen. So gab sie etwa als Job an, "Königin der Unterwelt" zu sein, die "diabolische Pläne" schmiede, "die letztlich alle das Ziel haben, die Weltherrschaft an mich zu reißen".

"Ohne Bilder keine Geschichte"

Interessanter war für Denk das Profilbild Carolines. Nachdem er sich versichert hatte, dass das Foto tatsächlich die Caroline zeigt, schickte er es unter Verweis auf die Quelle StudiVZ an einige Redaktionen. "Ohne Bilder hast du keine Geschichte." Er habe das Bild "nicht als geschmacklos oder das Mordopfer verunglimpfend empfunden". Außerdem habe "ein öffentliches Interesse an der Veröffentlichung" bestanden. Hinsichtlich der Urheberrechte machte sich Denk keine Sorgen: "Ich habe die Redaktionen auf die Herkunft des Bildes hingewiesen und gebe den Schwarzen Peter damit weiter", erklärt er.

Auch die "Bild" druckte das Foto. Rechtliche Probleme bekam sie allerdings wegen eines anderen Schnappschusses von Caroline, das ein Leserreporter eingeschickt und als sein eigenes ausgegeben hatte. In Wirklichkeit sei das Bild aber von einem anderen Fotografen gemacht worden, erinnert sich ein Beteiligter, der nicht genannt werden will. Publiziert wurde es ursprünglich auf einem Partyportal. Der Fotograf forderte Schadensersatz von der Zeitung. Auf Bild.de ist inzwischen nur noch der Hinweis zu lesen: "Dieses Bild ist nicht mehr verfügbar." Pressesprecher Fröhlich möchte den Fall nicht kommentieren: "Zu redaktionsinternen Vorgängen äußern wir uns grundsätzlich nicht. Zum anderen sind wir dem Quellenschutz verpflichtet."

Mit falschem Profil
Als "störend" bei seinen Recherchen empfand Denk die "große Skepsis, die uns Presseleuten nach kurzer Zeit aus Carolines Freundeskreis entgegengebracht wurde". Der Hauptgrund dafür habe wohl in der Art und Weise der Berichterstattung der "Passauer Neuen Presse" (PNP) gelegen, vermutet der Journalist. Die Regionalzeitung nutzte für ihre Recherchen ebenfalls das Studentennetzwerk. Redakteur Robert Piffer legte sich dafür eigens einen Account bei StudiVZ an. Allerdings unter falschem Namen; er firmierte als "Kurt Moser (Uni Passau)" und mutmaßlicher Kommilitone von Caroline.

Wenige Stunden nach Meldung des Verbrechens schrieb Piffer unter diesem Namen einen Eintrag auf die StudiVZ-Pinnwand der Ermordeten: "Wer kann mir etwas über Caroline erzählen? Sehr dringend." Es folgt die Angabe einer Telefonnummer. Zu wem sie führte, notierte anderthalb Stunden später ein Nutzer auf der Pinnwand: "Die Telefonnummer, die Herr "Kurt Moser" genannt hat, gehört zur ‚PNP'."

Warum hatte sich Piffer unter falschem Namen bei StudiVZ angemeldet? Piffer, mittlerweile im Vorruhestand, antwortet: "Ich war damals 59 Jahre alt, da konnte ich mich doch nicht mehr mit richtigem Namen in einem Studentennetz anmelden." Den im Pressekodex vorgegebenen Recherchegrundsatz, wonach sich Journalisten grundsätzlich zu erkennen geben sollen, kenne er. Piffer räumt ein, "vielleicht ungeschickt" gehandelt zu haben.

Königin der Unterwelt
Die "PNP" bediente sich ebenso wie Hubert Denk des Profilbilds der ermordeten Studentin; die Publikation erfolgte ohne Quellenangabe. Das in dem Netzwerk hinterlegte Profil der Studentin gab für die Zeitung noch mehr her. Piffer leitete seinen Artikel wie folgt ein: "Sie sah sich selbst als ,König der Unterwelt', wollte diabolische Pläne schmieden und die Weltherrschaft an sich reißen. Das zumindest schrieb die 21-jährige Studentin Caroline B. aus Passau auf ihrer Internetseite. Ob sie sich in eine Fantasiewelt flüchtete, weil sie ahnte, dass ihr wirkliches Leben nur kurz sein würde?"

Warum er gerade diese persönlichen Angaben verwendete, erklärt Piffer so: "Nachdem wir keine anderen Informationen über sie finden konnten, mussten wir uns eben auf das verlassen, was sie über sich schreibt. Außerdem arbeitete ich unter immensem Zeitdruck." Auch ein Kollege Piffers, der Redakteur Franz Danninger, nutzte Informationen aus Carolines Profil. Nachdem sich in seinem Artikel ein Kommilitone positiv über die Ermordete geäußert hatte, schrieb Danninger: "Das war die eine Seite von Caroline B. Die andere driftete ins Mystische, sie hörte Gothic-Musik und las Irvine Walsh, der auch das Drehbuch für den abgedrehten Kultfilm ‚Trainspotting' geschrieben hat, der zur ihren Lieblingsstreifen zählte."

Grenzen der Geschmacklosigkeit
Auch die oben zitierten "Fakten" aus Piffers Artikel wurden noch mal verwendet. Schließlich passte das vermeintliche "Abdriften" der Studentin gut zu einem der beiden mutmaßlichen (und später auch verhafteten) Täter, der aus der Gothic-Szene stammte.

Auf ein Beschwerdeschreiben des Passauers Albrecht F. A. Wendel, in dem dieser unter anderem monierte, dass die "PNP" "mit dieser Art der Informationsbeschaffung die Grenzen der Geschmacklosigkeit überschritten" habe, antwortete Danninger: "Den beleidigenden Ton Ihrer Zuschrift führen wir darauf zurück, dass der gewaltsame Tod einer Kommilitonin Sie offensichtlich nicht kalt gelassen hat. Ein gutes Zeichen." Auf den konkreten Vorwurf ging er nicht ein, dafür rechtfertigte er die Recherchepraxis seines Kollegen Piffer: In der Kürze der Zeit müsse man "jedes Mittel nutzen, um an möglichst authentische Aussagen zu gelangen."

Einige bei StudiVZ registrierte Nutzer gründeten die nur für ausgewählte Mitglieder zugängliche Gruppe "Gegner der ‚Passauer Neuen Presse'". In dieser Gruppe wurde noch Wochen später über das Thema debattiert. Eine Reflexion über die Vorgänge innerhalb der "PNP"-Redaktion fand laut Piffer nicht statt. "Die PNP hatte bei Studenten schon immer ein schlechtes Image", wertet Piffer die geäußerte Kritik.

Solidarisch mit Nutzern
"Ein völlig falsches Bild wurde von Caroline in den Berichten gezeichnet; sie wurde regelrecht in den Dreck gezogen", sagt eine Freundin der Ermordeten auch ein Jahr später noch. Sie möchte aufgrund ihrer "miesen Erfahrungen mit Journalisten" gern anonym bleiben. Die Studentin der Kommunikationswissenschaften resümiert: "Dass dieser Branche absolut das Mitgefühl, die soziale Verpflichtung verloren gegangen ist, hat mich so erschreckt, dass ich angewidert bin. Mir ist der Spaß am Studium vergangen, da man ja irgendwann für solche gefühllosen Menschen arbeiten muss."

Angesprochen auf solche Recherchepraxis zeigt man sich bei StudiVZ, das seit Anfang 2007 zur Verlagsgruppe Holtzbrinck gehört, zumindest auf dem Papier solidarisch mit den Nutzern. PR-Managerin Christiane Biederlack: "Die Verwendung von Mitgliederfotos und Informationen aus StudiVZ und SchülerVZ zum Zwecke der Berichterstattung verletzt die Urheber- und Persönlichkeitsrechte unserer Nutzer, solange die Rechte nicht an die entsprechenden Medien abgetreten wurden. Eine derartige Verwendung verbieten wir ausdrücklich in unseren Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Zudem empfinden wir diese Art von Missbrauch als respekt- und geschmacklos gegenüber unseren Mitgliedern. Der Nutzer kann gegen das entsprechende Medium rechtlich vorgehen, was bei einem Missbrauchsfall auch in unserem Interesse ist." Fragen, ob bei StudiVZ Hinweise erfolgen, dass Daten eventuell - beispielsweise durch Journalisten - missbräuchlich genutzt werden können und ob weitere Maßnahmen zum Schutz vor Datenmissbrauch erwogen werden, lässt Biederlack indessen unbeantwortet.

Unerschöpfliche Quelle
Laut einer Anfang Mai veröffentlichten Studie des englischen Informationsanbieters Datamonitor werden die Nutzerzahlen der sozialen Netzwerke in den kommenden Jahren stetig steigen - so werden für Deutschland bis 2012 21,7 Millionen Nutzer prognostiziert. Eine geradezu unermessliche Quelle für potenzielle Schnüffler und Datenjäger.


Selbst schuld?
Ein Kritiker von Kommunikationsbörsen wie StudiVZ und MySpace ist Blogger und Journalist Rainer Meyer, besser bekannt unter dem Pseudonym Don Alphonso. In einem Beitrag für das Pop-Magazin "Umag" mokiert er sich darüber, wie offen die Nutzer sozialer Netzwerke ihre Daten dort preisgeben. Einerseits zeigten sie eine skeptische Haltung etwa gegenüber der Vorratsdatenspeicherung oder penetranter Werbung, andererseits vertrauten sie "ihre Gefühle, ihre Erlebnisse, ihre Freunde, ihr Leben gedankenlos Firmen an, die umfassende Datensätze über sie besitzen, besser als alles, was die Gestapo und Stasi je hatten".


Recherche in sozialen Netzwerken

Besondere Sorgfalt

Recherche in sozialen Netzwerken ist eine immer häufiger angewandte Methode, um an Informationen zu gelangen. Wie weit dürfen Journalisten gehen bei der beruflichen Nutzung von Internetseiten, die zwar öffentlich zugänglich, aber mit Inhalten aus dem Privatleben gefüllt sind? Der "journalist" bat drei Experten um ihre Meinung.

Ella Wassink, Referentin für Öffentlichkeit des Deutschen Presserats
"Das Internet bietet unter anderem in den großen sozialen Netzwerken viele Recherchemöglichkeiten für Journalisten. Hierbei muss jedoch immer bedacht werden, dass die Informationen, die ein Nutzer in ein solches Forum einstellt, dort erst einmal nur für einen bestimmten Personenkreis veröffentlicht werden. In der Regel bedenkt kaum jemand, dass auch Journalisten das Forum als Quelle nutzen könnten. Von daher sind von Seiten der Journalisten unbedingt die Persönlichkeitsrechte der Nutzer zu wahren (Ziffer 8 des Pressekodex). Nur weil sich jemand in einem solchen Portal vorstellt, heißt dies nicht, dass die Daten auch für die Veröffentlichung in der Presse freigegeben sind. Dies gilt insbesondere auch für Fotos, beispielsweise von Opfern oder Tätern. Auch das Thema Datenschutz sollten die Journalisten dabei im Auge haben. Ein jugendlicher Nutzer des Internets ist diesbezüglich häufig sehr unbedarft. Daher obliegt dem Journalisten hier auch eine spezielle Sorgfaltspflicht."

Hendrik Zörner, Pressesprecher des Deutschen Journalisten-Verbands
"Dass Journalisten Angaben über Personen in den sogenannten sozialen Netzwerken für ihre Recherchen verwenden, ist nicht nur legitim, sondern notwendig, um ein möglichst umfassendes Bild einer Person zu gewinnen. Allerdings dürfen sie sich nicht ausschließlich der sozialen Netzwerke bedienen. Im Klartext: StudiVZ kann erste Hinweise geben und mögliche Kontaktpersonen nennen. Der direkte Kontakt zwischen dem Journalisten und den Kontaktpersonen muss dennoch erfolgen. Und selbstverständlich müssen Journalisten die im Pressekodex festgelegten medienethischen Regeln beachten. Dazu gehört beispielsweise, dass sie nicht ohne Einwilligung der Angehörigen das Foto der Ermordeten veröffentlichen dürfen - selbst wenn es simpel ist, über StudiVZ an das Foto zu gelangen."

Ulrich Brenner, Leiter der Deutschen Journalistenschule
"Auch lange, bevor es das Internet gab, stellten sich Journalisten die Frage, wie sie mit Informationen aus der Privatsphäre eines Menschen umgehen: Ob sie intime Details um der Sensation und des kommerziellen Erfolgs willen veröffentlichen (und um der eigenen Eitelkeit zu schmeicheln) und dabei einen Rufmord in Kauf nehmen - oder ob sie solche Informationen zurückhalten, um das Ansehen eines Menschen, sein Leben gar, nicht zu zerstören. Bei der Abwägung, was mein Leser/Seher/Hörer erfahren muss, um sich ein Bild machen zu können, mag man bei einem Menschen, der im Rampenlicht steht, anders entscheiden, als bei einer Privatperson und vor allem bei einem Opfer - wie im vorliegenden Fall. Als die Bischöfin Maria Jepsen sich vor einigen Jahren in einer Rede mit Fragen der journalistischen Moral beschäftige, forderte sie: "Die Würde des Menschen sollte respektiert werden. Das sollte aber nicht einen kritischen Journalismus verhindern." Die Würde des Menschen - das ist der Maßstab. Auch in Zeiten, in denen Menschen bereitwillig ihr Innerstes im Netz ausbreiten.

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© Thomas Mrazek

Montag, 8. Oktober 2007

Im Netz liegt die Zukunft des Gedruckten

Die Online-Offensive kommt den Internet-Nutzern zugute – doch wie sieht die Zukunft der Medien aus? Eine Bestandsaufnahme mit Blick in die Zukunft.

In drei, vier oder fünf Jahren werde man mehr Leser als der gedruckte "Spiegel" haben, so skizziert der Chefredakteur von Spiegel Online, Mathias Müller von Blumencron, die vielversprechende Zukunft seines Mediums. Bis vor kurzem hätten Medienmacher und Kollegen Blumencrons Prognose als schwarzmalerisch gegenüber dem gedruckten Magazin empfunden.

Online first

Jetzt handelt es sich um eine in der Medienbranche akzeptierte Meinung: Online überholt Print. Und so paradox es klingt: Um das eigene Fortbestehen zu sichern, müssen die Printtitel den flotten Internet-Angeboten sogar noch den Treibstoff für das Überholmanöver liefern – nämlich die Inhalte. "Online first" lautet die Formel, alle Nachrichten sollen zuerst online veröffentlicht werden. Als Vorreiter für diese Praxis gilt in Deutschland die Tageszeitung "Die Welt" aus dem Springer Verlag. Ausgerechnet der eher für seinen bürgerlich-konservativen Habitus bekannte Springer Verlag verkündete Ende 2006 "fast eine Revolution" und publiziert mit diesem Blatt alle Inhalte zuerst im Internet. Im Ausland praktizieren nur einige US-Zeitungen Online first schon länger. In Großbritannien geben seit letztem Sommer der "Guardian" oder die "Times" bei heißen News dem Web den Vorzug.

Digitales Wachstum

Die großen Gewinner dieser Online-Offensive sind zunächst mal die Internet-Nutzer: Sie erhalten oft einige Stunden vor der gedruckten Zeitung hochwertige Informationen kostenlos auf den Bildschirm. Macht man sich damit beispielsweise beim Springer Verlag nicht das Zeitungsgeschäft kaputt? Der Chefredakteur von Welt Online und der "Welt am Sonntag", Christoph Keese, ist überzeugt davon, dass dies nicht der Fall ist: "Zeitungen und Websites kannibalisieren sich nicht gegenseitig. Unser Wachstum im Internet steht nicht im Widerspruch zum Erfolg der Zeitungen. Wir verschenken online keine Inhalte, sondern wir bieten sie dem interessierten Publikum an. Je mehr Menschen wir für uns gewinnen, desto erfreulicher entwickelt sich das Anzeigengeschäft."

Und das Publikum im Netz wächst und wächst. Rund 60 Prozent der Bevölkerung – absolut etwa 39,2 Millionen Deutsche über 14 Jahre – nutzen laut (N)Onliner Atlas 2007 das Internet und dort gerne auch die Angebote von klassischen Zeitungen und Zeitschriften. Auch der Werbemarkt im Netz boomt. Etwa 8,7 Prozent beträgt 2006 der Anteil der Online-Werbung am Werbemarkt. Im Vergleich dazu positionieren sich Zeitschriften (20,9 Prozent) und Zeitungen (24,1 Prozent) noch relativ gut.

Großer Werbekuchen

Der gesamte Werbekuchen ist 1,9 Milliarden Euro groß. Dieser Kuchen wird aber in den kommenden Jahren nicht mehr wesentlich größer werden und ist außerdem abhängig von der konjunkturellen Entwicklung. Die Prognosen für den Online-Bereich gehen indes weiterhin nach oben, die Werbeanteile werden sich weiter zugunsten dieser Mediensparte verschieben. Allerdings buhlen im Internet viele Bewerber um die Werbemilliarden. Einer davon ist etwa Google. Die Suchmaschine soll 2006 bereits 750 Millionen Euro Umsatz mit Online-Werbung in Deutschland erzielt haben. "Das ist mehr als der gesamte Werbeanzeigenumsatz der überregionalen Qualitätspresse in Deutschland", erläutert der Berliner Medienwissenschaftler Robin Meyer-Lucht.

Pfründe sichern

Für die Verlage geht es nun vor allem darum, sich ihre Pfründe im Internet zu sichern. Auch bei der führenden deutschen Tageszeitung im Internet, Sueddeutsche.de, rüstete man daher Anfang 2007 auf: "Wir haben erkannt, dass wir in den vergangenen Jahren vielleicht zu zögerlich waren", sagt Sueddeutsche.de-Chefredakteur Hans-Jürgen Jakobs. "Wir haben beobachtet, dass bei der Konkurrenz kräftig investiert wird und viel zusammenwächst. Und zum anderen sahen wir die sehr guten Prognosen im Online-Werbemarkt." Die Münchner verdoppelten nicht nur ihre Redaktion auf rund 25 Redakteure, sondern sie gestalteten zugleich ihre Seite neu.

Qualitätsjournalismus

Die Strategie im Netz basiert auf altbewährten Tugenden, wie Jakobs erklärt: "Unsere grundlegende Erkenntnis war, dass man dieses Potenzial im Web am besten mit Qualität ausschöpfen kann – mit einem Qualitätsjournalismus, der auch online der gedruckten Zeitung entspricht." Ähnlich wie der Süddeutsche Verlag handeln mittlerweile Dutzende Verleger in Deutschland: Sie haben einerseits die Gefahren, die das Internet beispielsweise für das Anzeigengeschäft hat, erkannt. Und andererseits wollen sie nun die Möglichkeiten dort nutzen und investieren in Personal und Websites. Der Großverleger Dirk Ippen beschreibt die zwiespältige Situation seiner Gilde so: "Das Internet ist ein Serienkiller und ist für alle Massenmedien beides: Eine Gefahr und eine große Chance, die größte Medienrevolution seit Gutenberg vor 550 Jahren." Ab ins Internet, lautet Ippens Devise: "Unsere einzige Chance ist doch, unsere Reichweiten und unsere guten Inhalte – Text wie Werbung – auch auf digitalen Wegen zu verbreiten."

Anspruchsvolles Publikum

Allein diese Einsichten reichen allerdings noch nicht. Um im Internet erfolgreich zu sein, müssen sich Journalisten den dort herrschenden Spielregeln anpassen. Nicht nur dass es dort endlos viel Raum zum Publizieren gibt, dass Texte mit Bildern und Videos, multimedialen Angeboten und Hypertext verknüpft werden, auch Redaktionsschluss und Sendezeiten spielen keine Rolle mehr. Das crossmediale Publizieren – das gleichzeitige Produzieren von Medieninhalten für verschiedene Medienträger – will gelernt sein. Nicht wenige Verlage beginnen aber erst jetzt, sich ernsthaft und engagiert damit zu beschäftigen. Auch das Publikum ist nicht mehr so pflegeleicht wie im Printbereich: Es ist mitunter verwöhnter – es erwartet sofortige Berichterstattung und Einordnung von Ereignissen, es wünscht einen besonderen Nutzwert von den Inhalten und es kann oftmals sehr wählerisch sein: "Wenn Du mir die gewünschten Informationen nicht bietest, finde ich sie eben an der nächsten Ecke selber", mag sich mancher Nutzer denken, Google macht's möglich. Wenn etwas schief läuft, werden in wenigen Minuten beispielsweise Beschwerde-E-Mails oder gar Einträge in Foren oder Weblogs geschrieben. Aus vielen Lesern sind aktive Netznutzer geworden, die selbst im Netz publizieren und recherchieren können.

Taschenspielertricks

Grund sich über journalistische Leistungen zu beschweren gibt es im Netz leider immer wieder. Unter Konkurrenz- und Zeitdruck leiden mitunter journalistische Qualitätsstandards. Der Journalismus im Netz genießt daher unter Journalisten noch ein geringes Ansehen. Mutwillig tragen oft die hehren Prediger des Qualitätsjournalismus selbst zu diesem schlechten Image bei. Die Autoren der Studie "Klicks, Quoten, Reizwörter: Nachrichten-Sites im Internet" der Friedrich-Ebert-Stiftung stellten etwa fest: "Die wenigsten Klicks der verlegerischen Sites gehen auf redaktionelle Inhalte zurück. Die meisten Portale und wohl auch Zeitungen generieren nicht einmal ein Fünftel ihrer Zugriffe aus originären redaktionellen Texten." Das Gros der Klicks sei dem Einsatz von Bildergalerien, dem Zugriff auf Wertpapierdepots, Partnerbörsen, Aktienkurs-Abfragen, Job-Datenbanken geschuldet, die allesamt in die Klickstatistik einfließen.

Die Autoren Steffen Range und Roland Schweins bezeichnen dieses Verhalten als "Taschenspielertricks". Kein guter Weg, um sich als Printmedium im Netz zu etablieren. Dabei wäre das doch nötiger denn je. Denn an von Verlegern gerne lancierte Durchhalteparolen wie "Print wird nicht sterben!", "Print hat Zukunft!" glauben nur noch die allerwenigsten. Die Zukunft prägen, so darf man gemeinhin annehmen, vor allem die "jungen Leute". Und denen ist Print gelinde gesagt egal: Laut der JIM-Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest können unter den 12- bis 19-Jährigen nur zwei Prozent am wenigsten auf Zeitungen und nur vier Prozent am wenigsten auf Zeitschriften verzichten; das Internet (19 Prozent) und der Computer (26 Prozent) haben hingegen eine ungemein hohe Bindung. Die Zukunft von Print findet wohl online statt.

Dieser Beitrag erschien bereits am 03.09.2007 im Magazin euro|topics, einem Angebot der Bundeszentrale für politische Bildung.

Weitere Artikel zum Thema

"Rule online, Britannia?"
Wie sich die britische Zeitungsbranche den digitalen Herausforderungen stellt. "FAZ" vom 06.10.2007.

"Online versus Print – ein Verdrängungswettbewerb?"
Überflügelt das Internet die traditionellen Medien? euro|topics vom 03.09.2007.

Presse zum Anklicken“
Im Internet funktioniert Journalismus anders als in den klassischen Medien. Deutschlandradio Kultur, Radiofeuilleton: Elektronische Welten vom 16.08.2007.

"Qualitätsjournalismus nach sueddeutsche.de-Art"
Das führende Internet-Angebot unter den Tageszeitungen, sueddeutsche.de, sieht sich dem “Qualitätsjournalismus im Netz” verplichtet. Die dort praktizierte Jagd nach den Klicks symbolisiert jedoch eher das Elend des Netzjournalismus. "Berliner Journalisten" vom September 2007, (PDF, 456 KB)

Mittwoch, 21. September 2005

Schwer ist leicht was – Wenn Journalisten auch noch bloggen müssen …

Für Telepolis habe ich den Artikel "Schwer ist leicht was – Wenn Journalisten auch noch bloggen müssen …" veröffentlicht.

Reaktionen zu diesem Artikel finden sich im Telepolis-Artikelforum und in den Blogs Indiskretion Nebensache, netzausfall, Rebellen ohne Markt, Gastauftritt.net, Schlagzeilen, Journalie [sic!] [Die Kritiker], kühlschranknotizen, bon anza Rundschau, ge-blog-t, Bemerkenswertes, 42 und Schockwellenreiter.

Ich bleibe am Thema dran.

*** Update 22.09.2005: Bei den Herren Lumma und Schmidt (Bamblog) wird über ein Interview der "Leipziger Volkszeitung" mit dem Journalistikprofessor Marcel Machill diskutiert, das Interview hat die vielsagende Überschrift "Pseudojournalismus".

Freitag, 12. August 2005

Buchbeitrag "Online-Journalismus" (1998)

Mrazek, Thomas: "Online-Journalismus" In: Peter Glotz (Hrsg.): Die Benachrichtigung der Deutschen. Aktuelle Fernsehberichterstattung zwischen Quoten- und Zeitzwang. Frankfurt am Main 1998, S. 203-218.

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Magisterarbeit: "Internet und Journalismus – Auswirkungen eines neuen Mediums auf den Journalismus" (1998)

Magisterarbeit von Thomas Mrazek:
"Internet und Journalismus – Auswirkungen eines neuen Mediums auf den Journalismus"
Umfang ca. 123 Seiten, eingereicht im Juni 1998 bei Peter Glotz, Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung (IFKW) der Ludwig-Maximilians-Universität, München

Download-Möglichkeiten Abstract

Abstract aus der Zeitschrift "TRANSFER" 2/99 der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft e.V. (DG PuK).

"Internet und Journalismus – Auswirkungen eines neuen Mediums auf den Journalismus"

Die Arbeit soll das aktuelle Verhältnis zwischen Journalismus und Internet möglichst umfassend analysieren und zugleich eine Prognose auf zukünftige Entwicklungen bieten.

Im ersten Teil erfolgte eine knapp gehaltene Darstellung des Internet und der Versuch einer kommunikationswissenschaftlichen Einordnung dieses Mediums. Im zweiten Teil wurde auf die Berühungspunkte zwischen Internet und Journalismus eingegangen. Neben einer ausführlichen Darstellung zum Online-Journalismus wurden im folgenden Teil die Nutzungsmöglichkeiten und Gefahren des Internet als Recherche-Werkzeug für Journalisten traditioneller Medien aufgezeigt. Die Leitfragen der weiteren Kapitel lauteten: Gefährdet das Internet die Urheberrechte der Journalisten, und wird das Internet zu einer Konkurrenz für den Journalismus.

Da es sich um eine explorative Arbeit handelt, wurde die qualitative Befragungstechnik verwendet. Für die deskriptiven Teile der Arbeit, die direkt auf das Verhältnis zwischen Internet und Journalismus eingehen, wurden jeweils zehn Experten aus der journalistischen Praxis um ihre Einschätzung gebeten. Die problemzentrierte Befragung der Experten erfolgte aufgrund von Arbeitshypothesen. Am Ende dieser Kapitel erfolgte jeweils eine interpretative Zusammenfassung der Experteninterviews und eine Zusammenfassung des Autors.

Das wichtigste Ergebnis der Arbeit lautet: Die Auswirkungen des Internet auf die journalistische Profession werden nicht dramatischer Natur sein. Dennoch appelliert der Autor an die Journalisten, in Zukunft offener, kritischer und kreativer als bisher mit diesem Medium umzugehen.

Samstag, 5. März 2005

Artikel im "journalist": Google sei mit uns

google_sei_mit_unsDer nachfolgende Artikel ist im "journalist", 3/2005, S. 48-49, erschienen.

Google sei mit uns

Suchmaschinen leiten zunehmend auch bei der Nachrichtensuche die Nutzerströme im Internet. Journalistische Regeln spielen bei Angeboten wie Google News kaum eine Rolle. Die traditionellen Medien können sich diesem Trend nicht entziehen.

Von Thomas Mrazek

Dass die populärste Suchmaschine der Welt als Lachnummer herhalten muss, passiert selten. Im September 2002 war es so. Google startete in den USA mit den Google News. Dieser so genannte News-Aggregator stellt aus ausgewählten Quellen eine ständig aktualisierte Nachrichtenauswahl zusammen. Die Auswahl basiert laut Google "ausschließlich auf Computeralgorithmen und ohne das Eingreifen von Menschen“. Bei einer Suchanfrage zur Bundestagswahl lieferte Google News damals Meldungen der iranischen Agentur IRNA und der "China Daily“ als wichtigste Nachrichtenquellen. Die Netzeitung höhnte: "Eigentlich ein schöner Beweis für die Unfähigkeit von Maschinen, sich als Journalisten zu betätigen. Diese virtuelle Absurdität macht schon wieder Spaß.“

Auf die Schadenfreude folgte Staunen. Google gelang es rasch, die gröbsten Schnitzer zu beheben. Mittlerweile gibt es den News-Service in mehr als 20 Ländern und seit Sommer 2003 auch in Deutschland. Das Angebot gehört zu den zehn meistgenutzten Nachrichtenplattformen im Internet. Auf den vorderen Plätzen befinden sich mit großem journalistischem Personalaufwand betriebene Seiten, etwa T-Online, Spiegel Online, Focus Online.

Für die deutsche Ausgabe von Google News werden 700 Seiten kontinuierlich durchsucht. Die Quellen reichen vom "Landboten“ über das "Trostberger Tagblatt“, Spiegel Online, "Film Dienst“, Südtirol Online bis hin zu PR-Angeboten wie etwa bei bundesregierung.de. Auf der Übersichtsseite der Google News erscheinen die Überschriften, zum Teil die Anreißertexte und ab und zu verkleinerte Bilder. Durch die ständige Aktualisierung bietet die Seite für den Besucher stets ein anderes Bild. "So können Sie beobachten, wie verschiedene Nachrichtenunternehmen über den gleichen Sachverhalt berichten“, heißt es auf der Google-Seite. Die Auswahl werde ohne Bezug auf politische Standpunkte oder Ideologien getroffen. Welche Websites nun relevant sind welche nicht, basiere "auf vielen Faktoren, wie beispielsweise die Häufigkeit und die Websites, auf den die Beiträge anderen Stellen im Web angezeigt werden“.

Geheimniskrämerei
Wie und wann Nachrichten durch Google gewichtet und platziert werden, ist selbst für Nachrichtenprofis kaum zu erkennen. Der Chefredakteur des Internet-Angebots der Deutschen Welle (DW-World.de), Holger Hank, fühlt sich an die berühmte Coca Cola-Rezeptur erinnert: „Die Feinheiten des Googleschen Page-Rankings erscheinen geheim und rätselhaft.“ Die Einordnung seiner Website kann er nicht einschätzen: „Warum einmal eine Geschichte von uns zum Aufmacher wird und dann wieder nicht: Wer weiß das schon?“

Hank hält zudem den Themenmix im Vergleich zur amerikanischen Version oft für „etwas bizarr“: „Wichtige Nachrichten tauchen manchmal erst mit großer Verspätung auf der Seite auf – und dann auch nicht in der Top-Position.“ Auch Markus Beiler, Medienwissenschafler an der Universität Leipzig, moniert, dass die Nachrichtenauswahl "nicht transparent und intersubjektiv nachvollziehbar ist“. Beiler, der sich in seiner Promotion mit News-Search-Engines beschäftigt, befürchtet zudem eine "uniforme Berichterstattung“: "Die Selektions- und Rankingkriterien der Nachrichten-Suchmaschinen bevorzugen Meldungen von Nachrichtenangeboten, die ganz Ähnliches bringen wie die breite Masse.“ Dadurch könne etwa eine Lokalzeitung, die nur dpa-Meldungen übernehme und keine eigenen journalistischen Leistungen erbringe, "sehr hoch gerankt und dadurch von den Nutzern wahrgenommen werden.“

Fest verankert
Für die Münchner Journalistin Katja Riefler ist Google in Deutschland "innerhalb relativ kurzer Zeit zu einem Synonym für ‚Suche im Internet’“ geworden. Eine Suchmaschine anzuwählen, sei im Verhalten der Nutzer bereits fest verankert – wie die morgendliche Zeitungslektüre bei Zeitungslesern. Riefler, die Zeitungsverlage im Bereich neue Medien berät, hat bei Zeitungen in den USA eine "ziemliche Beunruhigung“ erkannt: "Google News und anderen Nachrichten-Aggregatoren kommt allein deshalb eine wachsende Bedeutung zu, weil die Nutzer die Suchmöglichkeiten auch zum Auffinden lokaler Nachrichten verwenden. Auch in Deutschland haben Suchmaschinen bereits lokale Suchmöglichkeiten im Beta-Test.“

Bei Google wird derzeit zwar nur an einem lokalen Branchenverzeichnis gearbeitet, doch der Suchprimus hat seine Schnelligkeit schon öfter bewiesen. Wer seine redaktionell erstellten Inhalte nicht frei anbiete, könne schnell ins Hintertreffen geraten, sagt Riefler: "Wenn etwa bei der Suche nach einem Mannheimer Thema keine Artikel des 'Mannheimer Morgens’ mehr angezeigt werden, weil diese nur Abonnenten zugänglich sind, dann besteht die Gefahr, dass das Medium als mögliche Quelle aus den Köpfen der Nutzer komplett verschwindet.“

Holger Hank sieht es ähnlich: „In den USA freuen sich die meisten News-Anbieter über die Abrufe via Google und Yahoo. Doch das gilt nur für die Sites, die ihre Artikel ohne Registrierung und Pay-per-View anbieten.“ Andererseits könnten die News-Portale in größere Abhängigkeit von Google News und ähnlichen Angeboten geraten: "Muss ich als Online-Anbieter einmal zahlen, um bei Google News vorne dabei zu sein?“ Der Pressesprecher von Google Deutschland, Stefan Keuchel, verneint diese Absicht: "Unser News-Service bleibt weiterhin weiterhin werbefrei“. Auch ein kostenpflichtiger Ausschnittdienst (Clipping-Service) sei nicht geplant.

Wichtigster Trend
Vorne dabei sein mit seiner Website möchte Michael Maier. Der Chefredakteur und Geschäftsführer der Berliner Netzeitung hält die automatische Erfassung von Nachrichten für "den wichtigsten Trend der sich derzeit im Internet-Journalismus abzeichnet.“ Die Leistung von Google News sei "fantastisch“. Die Suchmaschine diente Maier als Vorbild für die eigene News-Suche, die er seit den US-Wahlen unter newsimweb.netzeitung.de anbietet. "Dazu haben wir mehr als 300 Nachrichtenquellen kategorisiert und nach ihrer Wichtigkeit und Relevanz geordnet“, sagt Maier.

Sein Konzept hält er für das bessere: "Was mich bei Google News, bei aller Bewunderung der Technologie, stört: Es ist Kraut und Rüben in der Gewichtung. Algorithmen reichen nicht zur wirklichen Nachrichten-Bewertung aus.“ Mit dem zusätzlichen Angebot möchte Maier auf veränderte Wünsche der Leser reagieren: "Das Internet-Verhalten der Nutzer ist jetzt ein viel integrativeres; er liest nicht nur eine Seite, sondern er liest mehrer quer.“ Ängste, dass ihm Leser abhanden kommen könnten, hat er nicht: "Warum soll der Leser nicht den Hinweis erhalten, was der 'Spiegel’, die 'FAZ’ oder die Tagesschau zu einem Thema berichtet?“ Maier schätzt, dass sich die Zugriffszahlen seiner Website dadurch um 15 bis 20 Prozent gesteigert haben.

Mathias Müller von Blumencron, Chefredakteur von Spiegel Online, Deutschlands erfolgreichstem Online-Nachrichtenmagazin, ist noch zurückhaltend: "Die News-Suche der Netzeitung ist ein interessanter Ansatz, den wir aber erst mal nicht gehen werden.“

Andere Portale sehen in der Nachrichten-Suche ein attraktives Geschäftsfeld. Microsoft Deutschland testet noch seinen MSN Newsbot; Yahoo Deutschland startete im September 2004 mit 950 Quellen "die umfangreichste Nachrichtensuche in Deutschland“; web.de reihte sich im Dezember unter die Newsfinder.

Bei allen Angeboten entdeckt man immer wieder kleine Unzulänglichkeiten, unerklärbare Einordnungen oder nicht deutlich von journalistischen Inhalten getrennte PR-Mitteilungen. Diese Mängel sind technisch weitgehend lösbar; die Anbieter werden ihre Dienste bei zunehmendem Konkurrenzkampf weiter perfektionieren. Und die rasche Entwicklung wird die Anbieter journalistischer Inhalte dazu zwingen, ihre Angebote entsprechend auszurichten. Als Lachnummer werden die maschinell erzeugten Nachrichtenströme nicht mehr herhalten.

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