Wikipedia als Journalist korrekt nutzen – Artikel aus dem "journalist“
Lizenzbestimmungen
Wikipedia – viel genutzte Quelle
"Spiegel nimmt bei Wikipedia sogar die Kommafehler“, höhnte im März Don Alphonso in einem Weblog. Spiegel Online hatte einen Hintergrundbericht zum Völkermord in Ruanda in wesentlichen Teilen aus einem Artikel der Online-Enzyklopädie Wikipedia erstellt. Allerdings ohne auf diese Quelle zu verweisen. Auf spiegel.de entschuldigte sich die Online-Chefredaktion später bei den "Machern und Autoren“ von Wikipedia: "Selbstverständlich handelt es sich dabei um einen klaren Verstoß gegen unsere redaktionellen Richtlinien.“
Es hätte nicht so weit kommen müssen. In den Lizenzbestimmungen von Wikipedia heißt es: "Einzelne Artikel oder der gesamte Inhalt der Wikipedia dürfen unverändert für Print- und Online-Publikationen übernommen werden.“ Ein "Gentlemen-Agreement“ erfordert vom Nutzer lediglich eine Verlinkung zu Wikipedia und detaillierte Hinweise auf die Quelle des verwendeten Artikels (siehe Lizenzbestimmungen). Dass die Leser eines Internet-Nachrichtenmagazins bei einem Hintergrundbericht freilich Recherchen eines Redakteurs und nicht die bloße Übernahme von Wikipedia-Eintragungen erwarten, ist eine andere Sache.
Seit Mai 2001 haben die verschiedensten Autoren mehr als 250.000 Artikel in deutscher Sprache für Wikipedia verfasst (Recherche im Juli 2005, im Februar 2007 sind es knapp 550.000 Artikel, siehe Wikipedia-Statistik). Der Frankfurter Mathias Schindler ist Wikipedianer und Mitglied im Presseteam. Etwa 50-mal pro Monat werde das Internet-Lexikon derzeit in Medien zitiert, mit steigender Tendenz, berichtet der 23-jährige Student (siehe hierzu auch "Artikel mit Wikipedia-Zitaten"). Besonders stolz sei er, dass auch Nachrichtenagenturen das Angebot nutzen: "ddp nimmt teilweise ganze Absätze als Hintergrundinformation.“ Doch es gab, wie Schindler betont, ebenfalls Probleme: "ddp hatte mehrfach Texte aus der Wikipedia ohne Lizenzhinweise angefügt.“ Nach einigen Gesprächen arbeite die Agentur jetzt aber "lizenzkonform“.
Manche Journalisten machen es sich zu einfach: "Wenn sie 15 Zeilen aus Wikipedia unkommentiert entnehmen, reicht eben kein Hinweis 'Quelle: de.wikipedia.org’ in Vier-Punkt-Schrift unter dem Artikel“, moniert Schindler. Für Printmedien will Wikipedia noch Zitierrichtlinien erarbeiten. Schindler rät daher, sich vorerst an die Regeln zu halten, die für Online-Medien gelten, was allerdings etwas umständlich ist. Er räumt ein, dass die Lizenz noch etwas "sperrig“ sei, man werde dies verbessern. Bei Verstößen versuchen die Wikipedianer, freundlich zu reagieren: "Wir erklären, dass es in unserem Interesse ist, wenn die Texte genutzt werden, und geben Ratschläge, wie so etwas am besten geschehen kann“ (beispielhaft hierzu "offener Brief an Spiegel Online").
Als er im Frühjahr 2004 das Wikipedia-Projekt entdeckte, war Jochen Magnus, Redaktionsleiter von RZ Online ("Rhein-Zeitung“), skeptisch, ob sich dieses frei editierbare Lexikon halten könne: "Ich wurde eines Besseren belehrt. Weder Vandalismus noch Fehlinformationen darin sind mir bislang aufgefallen – die Gegenreaktionen ernsthafter Autoren erfolgen offenbar immer schnell genug.“ Das Projekt überzeugte ihn so sehr, dass er es in die eigene Website integrierte.
Seit August 2004 bietet die "Rhein-Zeitung“ die deutschsprachige Wikipedia an (lexikon.rhein-zeitung.de). Der technisch versierte Journalist optimierte die Volltextsuche für sein Angebot, die dabei entstandene Software ist jetzt als so genannte Open-Source-Software frei erhältlich (siehe hierzu Wikipedia-Benutzerprofil von Jochen Magnus). Wikipedianer Schindler lädt weitere Web-Partner ein: "Wenn es Zeitungen gibt, die dem Ganzen folgen, haben sie freies Feld: Die RZ-Suchmaschine ist unter einer freien Lizenz.“
Von Journalisten wünscht er sich einer aktivere Teilnahme an dem Online-Lexikon: "Sie könnten eigene Arbeiten auch in der Wikipedia veröffentlichen. Das klingt jetzt nach schlimmsten Altruismus, aber es wäre im Einzelfall kaum Mehraufwand und hilft allen Beteiligten.“ Das Engagement von RZ Online hält er für "ein leuchtendes Beispiel“.
Thomas Mrazek
Dieser Artikel erschien in ähnlicher Form in "journalist" 8/2005, S. 17.
Update 12.02.2008
Seit heute ist die Wikipedia bei Spiegel Online unter wissen.spiegel.de nutzbar. Selbstverständlich wird jeder Beitrag dort automatisch richtig zitiert.
Beispiele zum korrekten Verwenden von Wikipedia-Artikeln
Begriffserklärung Schleichwerbung
Schleichwerbung oder Placement ist die Integration des Namens, des Produktes, der Verpackung, der Dienstleistung oder des Logos eines Markenartikels oder eines Unternehmens in den Massenmedien, ohne dass der Rezipient dies als Werbung erkennt oder störend empfindet. Es ist für den Medienkonsumenten also nicht erkennbar, dass die ihm gezeigte Information von einer gewissen Interessengruppe bezahlt wurde.
Die Möglichkeiten reichen von Film und Fernsehen über Veranstaltungen bis zum redaktionellen Teil von Zeitungen. Schleichwerbung umgeht somit die Positionierung des Produktes im bezahlten Anzeigenraum. Als Entgelt wird in den meisten Fällen ein Produktionskostenzuschuss von der Privatwirtschaft gezahlt. Damit kann ein Teil der horrenden Produktionskosten schon abgedeckt werden, bevor zum Beispiel ein Film in den Kinos oder im Fernsehen anläuft.
Dieser Artikel basiert auf dem Artikel Schleichwerbung aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.
Beispiel für die Nutzung im Redaktionsalltag
Artikel zur Londoner U-Bahn bei sueddeutsche.de mit entsprechendem Quellenverweis.
Literaturempfehlungen
Wikipedia – viel genutzte Quelle
"Spiegel nimmt bei Wikipedia sogar die Kommafehler“, höhnte im März Don Alphonso in einem Weblog. Spiegel Online hatte einen Hintergrundbericht zum Völkermord in Ruanda in wesentlichen Teilen aus einem Artikel der Online-Enzyklopädie Wikipedia erstellt. Allerdings ohne auf diese Quelle zu verweisen. Auf spiegel.de entschuldigte sich die Online-Chefredaktion später bei den "Machern und Autoren“ von Wikipedia: "Selbstverständlich handelt es sich dabei um einen klaren Verstoß gegen unsere redaktionellen Richtlinien.“
Es hätte nicht so weit kommen müssen. In den Lizenzbestimmungen von Wikipedia heißt es: "Einzelne Artikel oder der gesamte Inhalt der Wikipedia dürfen unverändert für Print- und Online-Publikationen übernommen werden.“ Ein "Gentlemen-Agreement“ erfordert vom Nutzer lediglich eine Verlinkung zu Wikipedia und detaillierte Hinweise auf die Quelle des verwendeten Artikels (siehe Lizenzbestimmungen). Dass die Leser eines Internet-Nachrichtenmagazins bei einem Hintergrundbericht freilich Recherchen eines Redakteurs und nicht die bloße Übernahme von Wikipedia-Eintragungen erwarten, ist eine andere Sache.
Seit Mai 2001 haben die verschiedensten Autoren mehr als 250.000 Artikel in deutscher Sprache für Wikipedia verfasst (Recherche im Juli 2005, im Februar 2007 sind es knapp 550.000 Artikel, siehe Wikipedia-Statistik). Der Frankfurter Mathias Schindler ist Wikipedianer und Mitglied im Presseteam. Etwa 50-mal pro Monat werde das Internet-Lexikon derzeit in Medien zitiert, mit steigender Tendenz, berichtet der 23-jährige Student (siehe hierzu auch "Artikel mit Wikipedia-Zitaten"). Besonders stolz sei er, dass auch Nachrichtenagenturen das Angebot nutzen: "ddp nimmt teilweise ganze Absätze als Hintergrundinformation.“ Doch es gab, wie Schindler betont, ebenfalls Probleme: "ddp hatte mehrfach Texte aus der Wikipedia ohne Lizenzhinweise angefügt.“ Nach einigen Gesprächen arbeite die Agentur jetzt aber "lizenzkonform“.
Manche Journalisten machen es sich zu einfach: "Wenn sie 15 Zeilen aus Wikipedia unkommentiert entnehmen, reicht eben kein Hinweis 'Quelle: de.wikipedia.org’ in Vier-Punkt-Schrift unter dem Artikel“, moniert Schindler. Für Printmedien will Wikipedia noch Zitierrichtlinien erarbeiten. Schindler rät daher, sich vorerst an die Regeln zu halten, die für Online-Medien gelten, was allerdings etwas umständlich ist. Er räumt ein, dass die Lizenz noch etwas "sperrig“ sei, man werde dies verbessern. Bei Verstößen versuchen die Wikipedianer, freundlich zu reagieren: "Wir erklären, dass es in unserem Interesse ist, wenn die Texte genutzt werden, und geben Ratschläge, wie so etwas am besten geschehen kann“ (beispielhaft hierzu "offener Brief an Spiegel Online").
Als er im Frühjahr 2004 das Wikipedia-Projekt entdeckte, war Jochen Magnus, Redaktionsleiter von RZ Online ("Rhein-Zeitung“), skeptisch, ob sich dieses frei editierbare Lexikon halten könne: "Ich wurde eines Besseren belehrt. Weder Vandalismus noch Fehlinformationen darin sind mir bislang aufgefallen – die Gegenreaktionen ernsthafter Autoren erfolgen offenbar immer schnell genug.“ Das Projekt überzeugte ihn so sehr, dass er es in die eigene Website integrierte.
Seit August 2004 bietet die "Rhein-Zeitung“ die deutschsprachige Wikipedia an (lexikon.rhein-zeitung.de). Der technisch versierte Journalist optimierte die Volltextsuche für sein Angebot, die dabei entstandene Software ist jetzt als so genannte Open-Source-Software frei erhältlich (siehe hierzu Wikipedia-Benutzerprofil von Jochen Magnus). Wikipedianer Schindler lädt weitere Web-Partner ein: "Wenn es Zeitungen gibt, die dem Ganzen folgen, haben sie freies Feld: Die RZ-Suchmaschine ist unter einer freien Lizenz.“
Von Journalisten wünscht er sich einer aktivere Teilnahme an dem Online-Lexikon: "Sie könnten eigene Arbeiten auch in der Wikipedia veröffentlichen. Das klingt jetzt nach schlimmsten Altruismus, aber es wäre im Einzelfall kaum Mehraufwand und hilft allen Beteiligten.“ Das Engagement von RZ Online hält er für "ein leuchtendes Beispiel“.
Thomas Mrazek
Dieser Artikel erschien in ähnlicher Form in "journalist" 8/2005, S. 17.
Update 12.02.2008
Seit heute ist die Wikipedia bei Spiegel Online unter wissen.spiegel.de nutzbar. Selbstverständlich wird jeder Beitrag dort automatisch richtig zitiert.
Beispiele zum korrekten Verwenden von Wikipedia-Artikeln
Begriffserklärung Schleichwerbung
Schleichwerbung oder Placement ist die Integration des Namens, des Produktes, der Verpackung, der Dienstleistung oder des Logos eines Markenartikels oder eines Unternehmens in den Massenmedien, ohne dass der Rezipient dies als Werbung erkennt oder störend empfindet. Es ist für den Medienkonsumenten also nicht erkennbar, dass die ihm gezeigte Information von einer gewissen Interessengruppe bezahlt wurde.
Die Möglichkeiten reichen von Film und Fernsehen über Veranstaltungen bis zum redaktionellen Teil von Zeitungen. Schleichwerbung umgeht somit die Positionierung des Produktes im bezahlten Anzeigenraum. Als Entgelt wird in den meisten Fällen ein Produktionskostenzuschuss von der Privatwirtschaft gezahlt. Damit kann ein Teil der horrenden Produktionskosten schon abgedeckt werden, bevor zum Beispiel ein Film in den Kinos oder im Fernsehen anläuft.
Dieser Artikel basiert auf dem Artikel Schleichwerbung aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.
Beispiel für die Nutzung im Redaktionsalltag
Artikel zur Londoner U-Bahn bei sueddeutsche.de mit entsprechendem Quellenverweis.
Literaturempfehlungen
- Henriette Fiebig: Wikipedia. Das Buch. Zenodot, 2005, 272 Seiten, 9,90 Euro, ISBN 3-866400-01-2. Siehe hierzu auch meine Kurzrezension.
- Erik Möller: Die heimliche Medienrevolution. Wie Weblogs, Wikis und freie Software die Welt verändern. Heise, Hannover, 2005, 219 Seiten, 19,00 Euro, ISBN 3-936931-16-X. Siehe hierzu auch meine Kurzrezension.
Netzjournalist - 2005/08/10 14:33
Zurück zur deutschen Realität: Ich hätte das Thema gerne etwas ausführlicher bearbeitet, dafür war aber leider der Platz nicht da. Und eine intelligente Verknüpfung zwischen Print und Online gibt es beim "journalist" leider (noch) nicht; Online findet da wie bei allen anderen Medienzeitschriften eben fast nicht statt.
An das Thema Wikipedia müssen sich deutsche Journalisten erst mal rantasten. Und freilich besteht die Gefahr, dass Wikipedia als nützlicher und kostenloser Lückenbüßer eingesetzt wird oder das fehlerhafte Informationen aus der Wikipedia blind übernommen werden. Aber noch kann ich das nicht erkennen, im Gegensatz zu einer deutschen "Qualitätszeitung", die kürzlich schrieb: "Kaum eine Hausarbeit, kein Referat könnte heute ohne Wikipedia entstehen, und kaum ein Zeitungsartikel (sic!)." (Quelle: "Die Welt", 4.8.2005).
Dir ist hoffentlich klar, dass Du nach Deiner Rückkehr wohl mal für eine BJV-Veranstaltung "Amerika, du hast es besser" herhalten musst. (-;
ich bin mir
- zu 99,9 prozent sicher, dass sueddeutsche.de kein fact-checking gemacht hat (sonst hätte sie den artikel gleich selbst schreiben können). das ist bemerkenswert, weil wikipedia hier nicht auszugsweise zitiert wird, sondern gar einen ganzen artikel "stemmt".
- zu 100 % sicher dass die wikipedia-inhalte, von wenigen ausnahmen (tagesaktuelle themen, computerthemen) abgesehen, vor allem aus einem grund immer wieder in klassischen medien verwendet werden: weil sie nichts kosten.
das alles sagt garnicht so viel über wikipedia, die ja grundsätzlich eine feine sache ist (wenn auch in meiner minderheitenmeinung noch keine vollwertige enzyklopädie). aber es sagt eine menge über die qs bei den online-ablegern von klassischen medien.