Unterschichten-Blogging – ein lehrreicher Miß(be)griff

<Klamauk-Modus> Für künftige Blog-Bücher (hoffentlich gibts mal wieder welche, offenbar gibt es hierzulande noch keinen Markt dafür) melde ich hiermit schon mal den Begriff Unterschichten-Blogging an. Der Begriff fiel mir spontan am vergangenen Freitag in meiner Lehrveranstaltung zu Weblogs an der FH Darmstadt ein. Jochen Wegner bitte übernehmen Sie (Rubrik "Wörtersee"). Bisher gibt's noch keinen Google-Treffer. </Klamauk-Modus>

Ich habe den Begriff tatsächlich gebraucht. Vielleicht auch etwas mißverständlich. Ein aufmerksamer Student schrieb in seinem Blog über meine Veranstaltung: "Bester Kommentar: 'Unterschichten-Blogging' (über den Shopblogger)."

Einschub: Sie kennen den Shopblogger nicht? Der Shopblogger ist das Blog eines
Supermarkt-Betreibers aus Bremen, darin berichtet er seit Anfang des Jahres über "Verrücktes und Bemerkenswertes aus dem Supermarkt".

Unterschichten-Blogging – ein blöder Begriff
Aber wie bin ich um Gottes Willen auf den Begriff Unterschichten-Blogging in Zusammenhang mit dem Shopblogger gekommen? Ich habe damit – zugegeben etwas spontan – mein Rezeptionsverhalten beschrieben. So wie manche TV-Zuschauer RTL2s Big Brother anschauen (der Inbegriff des Unterschichtenfernsehens, siehe hierzu "Die Zeit" 11/2005: Was guckst du?), so schaue ich mir eben gerne die Schilderung von mitunter völlig trivialen Begebenheiten aus diesem Bremer Supermarkt an. Meine KollegInnen schmunzeln fast mitleidig, wenn sie wieder mal den Shopblogger auf meinem Screen sehen oder wenn ich ihnen über skurrile Neuigkeiten aus dem Supermarkt berichte.

Sie werden lachen: Es ist auch sehr lehrreich für Verbraucher, es ist authentisch; ich kenne inzwischen die Sorgen und Nöte eines Supermarktbetreibers. Wenn das in einem Buch erschienen wäre – ich hätte das niemals gekauft, vermutlich hätte ich es nicht mal geschenkt gelesen. Aber so ... (Ich überweise an die Abteilung Soziologie, Frau Becker übernehmen Sie bitte ...). Der Begriff Unterschichten-Blogging ist dafür einfach zu salopp, das trifft es nicht ... Finden Sie in Ihrer Sitzung einen besseren Fachbegriff Herr Bonacker!

Vom Shop- zum Schock-Blogger
Es gibt noch mehr zum Shopblogger zu sagen. Diese Seite gehört mittlerweile zu den beliebtesten deutschen Blogs (siehe etwa hier). Am ersten April meldete Shopblogger Björn Harste zum ersten Mal seine Besucherzahlen: 73301 Besucher und zirka 1,5 Millionen Seitenanfragen! Es handelt sich um keinen Aprilscherz, ich habe noch mal nachgefragt (vielen Dank für die schnelle Antwort, Herr Harste).

Zum Vergleich: ich habe auf diesem Blog an guten Tagen etwa 100 Besucher; "A-Class-Blogger" wie Don Alphonso haben in der Spitze vielleicht 3000 Besucher täglich (siehe öffentliche Statistik von Rebellen ohne Markt). Natürlich muss man relativieren. Aber die Shop-Blogger-Zahlen sind einfach beachtlich. Und Björn Harste betreibt sein Weblog wohlgemerkt völlig nebenbei. Schließlich muss er schauen, dass sein Laden läuft (zirka 25 Mitarbeiter, 1000 Kunden täglich, 15000 Artikel im Sortiment [Quelle: Gastgewerbe Gedankensplitter]. Eine ähnlich gute Resonanz hat übrigens der Schockwellenreiter. Der ist allerdings auch ein Urgestein der deutschen Blogger-Szene.

Alles schön und gut, der Shopblogger schafft es also, mit seiner angenehmen Art (ein paar inhaltliche Dinge gefallen mir auf seinem Blog auch überhaupt nicht!), einen Haufen Besucher auf seine Seite zu ziehen. Aber was hat er davon? Rennen die Bremer Kunden ihm jetzt den Laden ein? Nein, überhaupt nicht. Aber es macht ihm einfach Spaß, diese Dinge zu erzählen; aber lassen wir ihn selber sprechen: "So lange ich Lust dazu habe oder das Medium Internet / Weblogs interessant und/oder sinnvoll ist [werde er das Blog betreiben, T.M.]. Die Themen werden mir jedenfalls nicht ausgehen, davon bin ich überzeugt. Wenn ich daran denke, was ich in den vergangenen Jahren alles erlebt habe, bin ich mir ganz sicher, daß zukünftig noch genauso viel Neues geschehen wird".

Ja, und was soll ich als Journalist, StudentIn damit anfangen – Zeit verdaddeln kann ich im Netz überall? Also noch mal: Es ist für mich recht lehrreich, wir alle können uns davon ein Scheibchen abschneiden. Björn Harste schafft es – vermutlich ohne journalistische Vorbildung – einfach so nebenbei, ohne schriftstellerische Ambitionen, große Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Das macht mich – als Journalist – nachdenklich.

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