Onlinejournalismus: Aschenputtel mit Sex-Appeal – Klaus Meier im Gespräch mit Merle Mulder

Ausnahmsweise gibt es hier heute mal etwas anderes. Warum auch nicht. Wenn es gut ist. Und es ist gut. Vor einigen Wochen bat mich die Hamburger Studentin Merle Mulder ein Interview mit dem Darmstädter Journalistikprofessor Klaus Meier vorab bei onlinejournalismus.de zu veröffentlichen. Ich sagte selbstverständlich zu. Leider ist der Relaunch von onlinejournalismus.de noch nicht ganz in trockenen Tüchern. Daher erfolgt schon mal eine Veröffentlichung hier. Und der Hinweis darauf, dass es ab 1. Februar in dem neuen Netz-Magazin WebWatching, das Studierende des Hamburger Instituts für Journalistik und Kommunikationswissenschaft entwickelt haben, weitere Interviews zum Thema Online-Journalismus geben wird. Auch Telepolis veröffentlichte ein sehr lesenswertes WebWatching-Interview mit Peter Praschl vorab: "Kiemenatmung auf dem Sofa". Bald wird es auch wieder bei onlinejournalismus.de viele interessante und aktuelle Inhalte geben. Aber nun haben Merle Mulder und Klaus Meier das Wort.

Aschenputtel mit Sex-Appeal

Klaus Meier über die Reize des Online-Journalismus, die Folgen des New-Economy-Hypes und die Zukunft der Crossmedialität.


Herr Meier, Sie finden Online-Journalismus sexy. Warum?

Klaus Meier: Online-Journalismus bietet Möglichkeiten, die andere Medien nicht bieten. Zum einen das multimediale Erzählen, da kann man Text, Bild, Ton und Video in allen möglichen Varianten kombinieren. Das ist viel sinnlicher und anschaulicher. Zum anderen ist man näher am Publikum als in anderen Medien. Die Leser können direkt partizipieren und die Journalisten wissen durch Quotentools sehr genau, welche Artikel am häufigsten gelesen werden. Man kann also das ganze Angebot auf das Publikum hin optimieren.

Über die Probleme, die der Zeitungsjournalist hat, um irgendwie seine Leser zu finden, können Online-Journalisten nur lachen. Wir reden hier ja auch von dem aktuellsten Medium überhaupt. Denken Sie zum Beispiel an ein Fußballspiel – da muss man laufend berichten. Das Gleiche gilt für politische Ereignisse, Kriege und Katastrophen, die sich innerhalb von wenigen Stunden drehen und weiter entwickeln. Man muss immer am Puls der Themen sein, hat aber gleichzeitig die Möglichkeit, bereits publiziertes Material permanent an die Situation anzupassen.

Außerdem befinden sich Online-Medien immer noch in der Entwicklung. Als Journalist bei einer Zeitung hat man relativ wenige Möglichkeiten, neue Ideen in den Job einzubringen. Da ist alles sehr festgefahren. Im Online-Journalismus hingegen kann man Trends aufgreifen, neue Ideen umsetzen. Da steckt mehr Spannung drin als in jedem anderen Medium.

Aber sobald Online-Journalisten von den etablierten Maßstäben des Print-Journalismus abweichen, hagelt es Kritik: Von „Verluderung der Sprache“ oder „Schnellschussjournalismus“ ist die Rede. Berechtigte Vorwürfe?

Klaus Meier: Es gibt Qualitätsmaßstäbe, die für alle Medien gelten. Wenn der Online-Journalismus diese Maßstäbe vernachlässigt, dann ist die Kritik natürlich berechtigt. Man muss aber berücksichtigen, dass es sich nicht nur um ein neues, sondern auch um ein sehr schnelles Medium handelt. Da können ähnliche Fehler passieren wie in der schnellen Fernsehberichterstattung, die ja gelegentlich ebenso kritisiert wird.

Hinzu kommt, dass Online-Redaktionen bisher sehr marginal ausgestattet sind. Wenn es da nur wenige Einzelkämpfer gibt, können die diese Qualitätsmaßstäbe einfach nicht vollständig einhalten.

Sie sind Dozent für den ersten deutschen Studiengang „Online-Journalismus“ an der Fachhochschule Darmstadt. Nun beschäftigen sich auch Online-Journalisten bislang ja vor allem mit den üblichen journalistischen Tätigkeiten. Als Besonderheit kommt nur hinzu, dass sie Texte auswählen und redigieren, um sie in Websites einzupflegen. Braucht man dafür wirklich einen eigenen Studiengang?

Klaus Meier: Es gibt Bereiche im Online-Journalismus, wo man tatsächlich nur als „Nachrichtenarbeiter“ tätig ist. Dafür braucht man nicht unbedingt ein Journalistik-Studium. Das gilt aber für andere Medien genauso. Unsere Absolventen wollen größtenteils auch gar nicht in diese Nachrichtenmühle. Und wenn sie doch in so einem Job arbeiten, dann haben sie sehr oft den Wunsch, eigentlich mehr zu machen, mehr entwickeln zu können.

Solche Fähigkeiten vermitteln wir ja auch im Studium und nur so kann die Praxis verändert werden. Denn der Online-Journalismus ist zurzeit auf einem relativ niedrigen Niveau, was neue Ideen und Konzepte betrifft. Das liegt zum einen an der Konsolidierungsphase der letzten Jahre, aber auch daran, dass sich die Journalisten auf diesem Feld sehr viel selbst beibringen mussten und kaum Zeit hatten, zu reflektieren, was sie da eigentlich machen. Das musste zunächst ja alles wahnsinnig schnell aufgebaut werden. Unsere Absolventen hingegen hatten vier Jahre Zeit, sich mit Online-Medien ausgiebig zu beschäftigen und können jetzt neue Ideen einbringen. Das geht natürlich nicht von heute auf morgen, erst einmal müssen die sich in ihren Jobs bewähren.

Der Online-Journalismus hat den Ruf, sein Professionalisierungs- und Qualifikationsniveau sei niedriger als im klassischen Journalismus. Ist er nur ein Sprungbrett für Nachwuchsjournalisten und Seiteneinsteiger?

Klaus Meier: Ich glaube, dass es sich dabei mittlerweile um ein Klischee handelt, das die aktuelle Situation nicht mehr richtig abbildet. Es hat seinen Ursprung in den Jahren um die Jahrtausendwende. Das war eine regelrechte Boom-Zeit, die zahlreiche Quereinsteiger in dieses Berufsfeld gezogen hat. Da gab es viele dieser „Durchlauferhitzer-Ausbildungen“ und Wochenend-Seminare, sodass damals tatsächlich vermehrt niedriger qualifizierte Journalisten in diesen Beruf kamen.

Aber als die New Economy in die Krise geriet, hat sich gezeigt, dass viele dieser Journalisten ihren Job wieder verloren haben. Heute versuchen es Quereinsteiger eher in anderen Medienbereichen. Online-Journalist will nur noch werden, wer sich wirklich intensiv mit diesem Medium beschäftigt hat, wer genau weiß, was da auf ihn zukommt, und hundertprozentig dahinter steht.

Was muss ein Online-Journalist wirklich können?

Klaus Meier: Die Erwartungen der Arbeitgeber unterscheiden sich stark. Das Spektrum reicht von einer journalistischen Grundausbildung bis hin zu einem umfangreichen Technik-, Programmier- und Softwareverständnis. Was man können muss, hängt deshalb sehr stark davon ab, was man später machen will und wo man sich bewirbt. Junge Menschen, die vor allem journalistisch arbeiten und mit Technik wenig zu tun haben möchten, werden wahrscheinlich in Nachrichten-Redaktionen ihre Jobs finden.

Andere sehen die Herausforderung gerade darin, neue Tools, neue Plattformen, neue Ideen im Story-Telling zu entwickeln. Die müssen neben der journalistischen natürlich auch technische und konzeptionelle Kompetenz mitbringen. Aber es gibt auch Möglichkeiten, sich stärker betriebswirtschaftlich zu orientieren, also zu überlegen, wie sich Online-Medien finanzieren können. Solche Fragen haben Journalisten in Verlagen oder Rundfunkanstalten ja traditionell immer anderen Leuten überlassen.

Im Online-Journalismus wäre es gut, wenn auch journalistisch denkende Leute solche Marketing- und Vertriebs-Jobs machten. Nicht um diese Positionen zu vermischen, sondern im Gegenteil: Gelernte Journalisten in diesen Abteilungen würden ein Bewusstsein für eine klarere Trennung zwischen Marketing-Inhalten und publizistischen Inhalten mitbringen und für eine größere Transparenz sorgen. Und schließlich würden sie vielleicht auch neue Formen der Finanzierung finden.

Nicht nur Universitäten und Fachhochschulen, sondern auch der freie Markt bietet unzählige Aus- und Weiterbildungsangebote. Worauf muss man achten, wenn man sich für eines dieser Angebote entscheiden will?

Klaus Meier: Wichtig ist, dass man sich selbst erst einmal klar macht, was man möchte. Will man ein Studium, das stark berufsorientiert ist, um danach möglichst schnell in den Beruf zu kommen? Dann ist es sinnvoll, einen ähnlichen Studiengang zu wählen, wie wir ihn anbieten. Hat man aber das Ziel, später auch mal wissenschaftlich tätig zu sein, vielleicht einen Doktortitel zu erwerben, dann landet man momentan mit einer Fachhochschulausbildung in der Sackgasse. Da ist die Universitäts-Journalistik besser.

Wer wiederum Interesse an einem bestimmten Themenbereich hat, zum Beispiel Wirtschaft, sollte ein BWL- oder VWL-Studium machen und das mit möglichst viel freier Mitarbeit und Praktika kombinieren. Oder hat man schon ein Studium abgeschlossen und möchte in den Journalismus, braucht dafür aber noch handwerkliches Know-how? Dann kommen Kurse, wie sie der freie Markt anbietet, in Frage. Letztlich sollte die Betonung immer auf Journalismus liegen. Aber eben Journalismus für Online-Medien.

Wirklicher Online-Journalismus ist bisher aber eher die Ausnahme. Online-Redaktionen haben wenig Geld und sie sind personell unterbesetzt. Meist sind Online-Redakteure nicht einmal bei den Redaktionskonferenzen des Muttermediums dabei. Wird sich das verändern?

Klaus Meier: In der Tat gelten Online-Medien oft noch als zweitklassig, denn das crossmediale Denken ist in Deutschland noch sehr unterentwickelt. Der Journalist sollte aber nicht mehr monomedial denken, sondern muss immer stärker überlegen, für welches Medium, für welchen Ausspielkanal er eine Geschichte am besten nutzen kann. Man wäre schlecht beraten, Online-Medien da nur als Zweitverwerter zu sehen. Im Gegenteil, ihre Inhalte erreichen das Publikum ja vor der Fernsehsendung oder der Tageszeitung.

Deshalb müssen die Medienhäuser die verschiedenen Medien untereinander auf Augenhöhe bringen. Aber ich denke, dafür werden vor allem die Nutzer sorgen, denn den traditionellen Medien läuft in einigen Bereichen das Publikum weg. Das Internet gewinnt nicht nur an Nutzer-Zahlen, sondern auch an Image. Früher oder später wird kein Medienunternehmen mehr darum herum kommen, das Internetangebot auszubauen und als gleichberechtigt anzusehen. Da sind uns zum Beispiel skandinavische Länder und teilweise auch die USA weit voraus. Verglichen damit ist der deutsche Zeitungsmarkt außerordentlich konservativ und nicht nach vorn orientiert.

In der Multimedia-Branche zeichnet sich langsam wieder ein Aufschwung ab. Trotzdem scheuen sich noch viele Medienunternehmen davor, neues Personal einzustellen. Wie wird sich der Bedarf an Online-Journalisten entwickeln?

Klaus Meier: Bei Neueinstellungen ist mein Optimismus für die nächsten Jahre eher vorsichtig. Ich schätze zwar, dass in manchen Medienunternehmen der Online-Bereich gestärkt wird – gerade heute hat mich zum Beispiel die Ausschreibung einer neuen Stelle in einer renommierten Online-Redaktion erreicht.

Aber in einigen Fällen wird man wahrscheinlich keine neuen Leute von außen holen, sondern stattdessen Personal umschichten. Die Printmedien – vor allem die Tageszeitungen – sind ja auf dem absteigenden Ast. Da wird man eher versuchen, den einen oder anderen Print-Redakteur umzuschulen, sodass der dann für Online-Medien tätig sein kann. Es bleibt abzuwarten, wie sich das auf die Qualität auswirken wird. Im Hinblick auf das Innovationspotential wäre das indes fatal.

Zur Person des Interviewten:
Prof. Dr. Klaus Meier, Jahrgang 1968, lehrt Journalistik an der Fachhochschule Darmstadt mit dem Schwerpunkt Online-Journalismus. Außerdem arbeitet er als freiberuflicher Berater und Trainer für Redaktionen und journalistische Weiterbildungsinstitute.

Das Gespräch führte Merle Mulder, 22. Sie studiert Soziologie, Politikwissenschaft, Journalistik und systematische Musikwissenschaften an der Universität Hamburg.

Dies ist ein Vorabdruck aus dem neu gegründeten Netz-Magazin WebWatching, das Studierende des Hamburger Instituts für Journalistik und Kommunikationswissenschaft entwickelt haben. Herausgeber: Bernhard Pörksen, Universität Hamburg. Siehe ab 1. Februar: www.webwatching.info

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