99 Prozent Müll? Journalisten kritisieren Weblogs

Müllmann3. Juni

Referentin: Kathrin Kirstein


Mit seiner Aussage, "dass 99 Prozent der Blogs einfach nur Müll oder zumindest journalistisch einfach nicht relevant sind", hat Spiegel Online-Chefredakteur Mathias Müller von Blumencron einige Blogger empört. Mario Sixtus schreibt hierzu in seinem Beitrag "Die ungleichen Brüder" bei heute.de: "Ein Grund für das Unbehagen, welches sich aus solcherlei Äußerungen gestandener Medienmenschen herauslesen lässt, dürfte darin liegen, dass die publizistische Zunft bislang eines kaum kannte: Amateur-Konkurrenz."

Senfstau statt Müll
Auch Timur Vermes wählte im Medienmagazin "Insight" klare Worte: "Das Problem ist der Senfstau. Jahrzehntelang unentdeckt und allenfalls vermutet, zeigt sich in Deutschland mehr und mehr die Existenz einer gewaltigen, aufgestauten Menge nicht dazugegebenen Senfs. Die schlechte Nachricht: Dieser Senf hat inzwischen einen Weg durch die Staumauer gefunden. Der Weg heißt: Weblog."

Toller Cyber"journalismus"
In "M Menschen – Machen – Medien", der medienpolitischen ver.di-Zeitschrift, schreibt Holger Wenk den Contra-Teil (bitte auch den Pro-Teil von Stefan Krempl lesen) zum Thema Weblogs: "Doch ausgerechnet da, wo schnelle Information und Trenderkennung obsiegen sollte, versagte der tolle Cyber"journalismus“: Traditionelle Medien sowie Wettbüros und ihre schnöden Mammon-Quoten spiegelten den tatsächlichen Wahlausgang exakter wieder als die Blogger, konstatiert das Online-Portal Cnet." (Diese Feststellung war übrigens auch in der Pressemeldung eines Wettanbieters zu lesen ...).

Idiotie des Autors
Richtig wütend wird der ansonsten moderate und von mir sehr geschätzte KerLeone bei Mosaikum 1.0: "Wer alles falsche über Weblogs wissen will, das bisher gesagt wurde und auch noch einige neue Dummheiten, der findet beim Deutschlandradio eine gute Zusammenfassung. Alles drin, angefangen vom falschen Geschlecht (der Blog) über das Dauermissverständnis, Weblogs allein mit der Tagebuch-Variante gleichzustellen. Dann haben wir da den Vergleich mit der privaten Homepage, die Erwähnung von Big Brother und Voyeurismus. Neu im Programm der Dummheiten ist in diesem Zusammengang, die wunderbare Idee, Weblogs mit der "Enttabuisierung der Intimsphäre" in Verbindung zu bringen. Die Erwähnung von den "therapeutischen Möglichkeiten von solchem autobiographischen Schreiben" rundet die Idiotie des Autors krönend ab." Als Psychologin geriert sich Nina Apinin der "Berliner Morgenpost": Eine "Obsession" bei Bloggern. Wohl als verkappte Streithansel betrachtet "Insight"-Chefredakteurin Katharina Skibowski einige Blogger.

Und was sagt uns das alles?
  • Was könnten die Gründe für diese zum Teil fehlerhafte, einseitige Berichterstattung sein?
  • Haben manche Journalisten tatsächlich Angst vor der "Amateur-Konkurrenz"?
  • Ist es manchmal schlicht Unwissen, mangelhafte Recherche?
  • Sind einige Journalisten verärgert über die Kritik an ihrem Metier aus der Blogosphäre? (Jüngstes Beispiel ist Don Alphonsos "Cicero"-Kritik: "Cicero ist politische Unkultur, journalistische Barbarei ersten Grades und jenseits des abgehobenen Tonfalls schleimender Cretins am Fusspilz der potentiellen neuen Bundesregierung so intellektuell wie Franz Josef Wagner von der Bild." Nachzulesen bei Rebellen ohne Markt.)
  • Oder sind einige Journalisten über das Aufdecken von zum Teil sehr peinlichen Fehlern dermaßen erbost, dass sie meinen "zurückschlagen" zu müssen?
  • Was ist von einer etwa von Don Alphonso geforderten "offenen Debatte" zu halten? (Ein sehr guter Ansatz war für mich die Veranstaltung des Netzwerks Recherche "Blogs & Co." im Mai 2005. Siehe hierzu entsprechender Artikel bei onlinejournalismus.de und Lorenz Lorenz-Meyers Rede). Bei Spiegel Online gab es kürzlich respektvollere Töne zu hören: "Doch tatsächlich etabliert sich mit Blogs auch eine journalistische Gegenkultur, die sich von klassischen Online-Zeitungen durch ihre große Durchlässigkeit von oben nach unten und umgekehrt auszeichnet und mittlerweile ernstzunehmende Ergebnisse produziert", schrieb Richard Meusers.
Wohlgemerkt: Blogger, Blogs müssen kritisiert werden, mit einer euphorischen Berichterstattung wie vor dem Platzen der Dotcom-Blase ist auch niemanden gedient. Wie bei allen anderen Themengebieten, sollten Journalisten einfach einen kühlen Kopf behalten und ihr Handwerk tun. In den meisten Fällen war dies wohl auch so, dennoch sorgen einige lautstarke Ausreißer für ein vergiftetes Klima. Letzlich geht es für mich beim Thema Blogs auch darum, neue Ideen für den Journalismus zu finden. Und diese sind nötiger denn je.

> Blog und Referat
Blog-Text zum Referat und Präsentation (PDF, 235 KB). Einen entsprechenden Artikel zum Thema gibt es ab September in einem neuen Weblog-Dossier "Trackback 05" bei onlinejournalismus.de, dieses Dossier stellt die Projektarbeit des Weblog-Seminars da.

Zur Themenübersicht fhd-oj.
mpx - 2005/05/16 14:22

sollten Journalisten einfach einen kühlen Kopf behalten und ihr Handwerk tun

Die Qualität des Handwerks zeigt die Fähigkeit, nicht die bloße Existenz der Werkzeuge in den Händen anderer...

Als simpler Surfer frage ich - was ist mit "neuen Ideen" gemeint? Das Weblog neu definieren? In welche Richtung?

Netzjournalist - 2005/05/16 14:49

Neue Ideen für den Journalismus

>MPX schrieb: Als simpler Surfer frage ich - was ist mit "neuen Ideen" gemeint? Das Weblog neu definieren? In welche Richtung?

Das System Journalismus kann neue Ideen gut gebrauchen und einige davon gibt es in der Blogosphäre. Aber dazu muss man sich eben auch als Journalist unvoreingenommen mit dem Thema auseinandersetzen. Dann kann man da eventuell auch was für seine Arbeit mitnehmen: ob es das Publizieren betrifft, den Umgang mit dem Publikum oder das Recherchieren.

Ich empfehle hierzu etwa die o.g. Rede von Lorenz Lorenz-Meyer.
Don Alphonso - 2005/05/16 21:00

Übrigens ist es nicht uninteressant, die von Cicero als "Lob" für ihre Arbeit abgedruckten Texte anderer Medien in der neuesten Ausgabe mal rauszugooglen. Stichwort Weltwoche, die den Ringier-Verlag und seinen Chefideologen Frank A. Meyer bekanntlich äusserst kritisch beäugt. Wenn man die Stelle mit Permalink dann hat, wird das Lob stante pede relativiert - Cicero zitiert aus dem Zusammenhang gerissen und verdreht dadurch den Sinn. Ganz mieser Stil, das.

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