Im Netz liegt die Zukunft des Gedruckten

Die Online-Offensive kommt den Internet-Nutzern zugute – doch wie sieht die Zukunft der Medien aus? Eine Bestandsaufnahme mit Blick in die Zukunft.

In drei, vier oder fünf Jahren werde man mehr Leser als der gedruckte "Spiegel" haben, so skizziert der Chefredakteur von Spiegel Online, Mathias Müller von Blumencron, die vielversprechende Zukunft seines Mediums. Bis vor kurzem hätten Medienmacher und Kollegen Blumencrons Prognose als schwarzmalerisch gegenüber dem gedruckten Magazin empfunden.

Online first

Jetzt handelt es sich um eine in der Medienbranche akzeptierte Meinung: Online überholt Print. Und so paradox es klingt: Um das eigene Fortbestehen zu sichern, müssen die Printtitel den flotten Internet-Angeboten sogar noch den Treibstoff für das Überholmanöver liefern – nämlich die Inhalte. "Online first" lautet die Formel, alle Nachrichten sollen zuerst online veröffentlicht werden. Als Vorreiter für diese Praxis gilt in Deutschland die Tageszeitung "Die Welt" aus dem Springer Verlag. Ausgerechnet der eher für seinen bürgerlich-konservativen Habitus bekannte Springer Verlag verkündete Ende 2006 "fast eine Revolution" und publiziert mit diesem Blatt alle Inhalte zuerst im Internet. Im Ausland praktizieren nur einige US-Zeitungen Online first schon länger. In Großbritannien geben seit letztem Sommer der "Guardian" oder die "Times" bei heißen News dem Web den Vorzug.

Digitales Wachstum

Die großen Gewinner dieser Online-Offensive sind zunächst mal die Internet-Nutzer: Sie erhalten oft einige Stunden vor der gedruckten Zeitung hochwertige Informationen kostenlos auf den Bildschirm. Macht man sich damit beispielsweise beim Springer Verlag nicht das Zeitungsgeschäft kaputt? Der Chefredakteur von Welt Online und der "Welt am Sonntag", Christoph Keese, ist überzeugt davon, dass dies nicht der Fall ist: "Zeitungen und Websites kannibalisieren sich nicht gegenseitig. Unser Wachstum im Internet steht nicht im Widerspruch zum Erfolg der Zeitungen. Wir verschenken online keine Inhalte, sondern wir bieten sie dem interessierten Publikum an. Je mehr Menschen wir für uns gewinnen, desto erfreulicher entwickelt sich das Anzeigengeschäft."

Und das Publikum im Netz wächst und wächst. Rund 60 Prozent der Bevölkerung – absolut etwa 39,2 Millionen Deutsche über 14 Jahre – nutzen laut (N)Onliner Atlas 2007 das Internet und dort gerne auch die Angebote von klassischen Zeitungen und Zeitschriften. Auch der Werbemarkt im Netz boomt. Etwa 8,7 Prozent beträgt 2006 der Anteil der Online-Werbung am Werbemarkt. Im Vergleich dazu positionieren sich Zeitschriften (20,9 Prozent) und Zeitungen (24,1 Prozent) noch relativ gut.

Großer Werbekuchen

Der gesamte Werbekuchen ist 1,9 Milliarden Euro groß. Dieser Kuchen wird aber in den kommenden Jahren nicht mehr wesentlich größer werden und ist außerdem abhängig von der konjunkturellen Entwicklung. Die Prognosen für den Online-Bereich gehen indes weiterhin nach oben, die Werbeanteile werden sich weiter zugunsten dieser Mediensparte verschieben. Allerdings buhlen im Internet viele Bewerber um die Werbemilliarden. Einer davon ist etwa Google. Die Suchmaschine soll 2006 bereits 750 Millionen Euro Umsatz mit Online-Werbung in Deutschland erzielt haben. "Das ist mehr als der gesamte Werbeanzeigenumsatz der überregionalen Qualitätspresse in Deutschland", erläutert der Berliner Medienwissenschaftler Robin Meyer-Lucht.

Pfründe sichern

Für die Verlage geht es nun vor allem darum, sich ihre Pfründe im Internet zu sichern. Auch bei der führenden deutschen Tageszeitung im Internet, Sueddeutsche.de, rüstete man daher Anfang 2007 auf: "Wir haben erkannt, dass wir in den vergangenen Jahren vielleicht zu zögerlich waren", sagt Sueddeutsche.de-Chefredakteur Hans-Jürgen Jakobs. "Wir haben beobachtet, dass bei der Konkurrenz kräftig investiert wird und viel zusammenwächst. Und zum anderen sahen wir die sehr guten Prognosen im Online-Werbemarkt." Die Münchner verdoppelten nicht nur ihre Redaktion auf rund 25 Redakteure, sondern sie gestalteten zugleich ihre Seite neu.

Qualitätsjournalismus

Die Strategie im Netz basiert auf altbewährten Tugenden, wie Jakobs erklärt: "Unsere grundlegende Erkenntnis war, dass man dieses Potenzial im Web am besten mit Qualität ausschöpfen kann – mit einem Qualitätsjournalismus, der auch online der gedruckten Zeitung entspricht." Ähnlich wie der Süddeutsche Verlag handeln mittlerweile Dutzende Verleger in Deutschland: Sie haben einerseits die Gefahren, die das Internet beispielsweise für das Anzeigengeschäft hat, erkannt. Und andererseits wollen sie nun die Möglichkeiten dort nutzen und investieren in Personal und Websites. Der Großverleger Dirk Ippen beschreibt die zwiespältige Situation seiner Gilde so: "Das Internet ist ein Serienkiller und ist für alle Massenmedien beides: Eine Gefahr und eine große Chance, die größte Medienrevolution seit Gutenberg vor 550 Jahren." Ab ins Internet, lautet Ippens Devise: "Unsere einzige Chance ist doch, unsere Reichweiten und unsere guten Inhalte – Text wie Werbung – auch auf digitalen Wegen zu verbreiten."

Anspruchsvolles Publikum

Allein diese Einsichten reichen allerdings noch nicht. Um im Internet erfolgreich zu sein, müssen sich Journalisten den dort herrschenden Spielregeln anpassen. Nicht nur dass es dort endlos viel Raum zum Publizieren gibt, dass Texte mit Bildern und Videos, multimedialen Angeboten und Hypertext verknüpft werden, auch Redaktionsschluss und Sendezeiten spielen keine Rolle mehr. Das crossmediale Publizieren – das gleichzeitige Produzieren von Medieninhalten für verschiedene Medienträger – will gelernt sein. Nicht wenige Verlage beginnen aber erst jetzt, sich ernsthaft und engagiert damit zu beschäftigen. Auch das Publikum ist nicht mehr so pflegeleicht wie im Printbereich: Es ist mitunter verwöhnter – es erwartet sofortige Berichterstattung und Einordnung von Ereignissen, es wünscht einen besonderen Nutzwert von den Inhalten und es kann oftmals sehr wählerisch sein: "Wenn Du mir die gewünschten Informationen nicht bietest, finde ich sie eben an der nächsten Ecke selber", mag sich mancher Nutzer denken, Google macht's möglich. Wenn etwas schief läuft, werden in wenigen Minuten beispielsweise Beschwerde-E-Mails oder gar Einträge in Foren oder Weblogs geschrieben. Aus vielen Lesern sind aktive Netznutzer geworden, die selbst im Netz publizieren und recherchieren können.

Taschenspielertricks

Grund sich über journalistische Leistungen zu beschweren gibt es im Netz leider immer wieder. Unter Konkurrenz- und Zeitdruck leiden mitunter journalistische Qualitätsstandards. Der Journalismus im Netz genießt daher unter Journalisten noch ein geringes Ansehen. Mutwillig tragen oft die hehren Prediger des Qualitätsjournalismus selbst zu diesem schlechten Image bei. Die Autoren der Studie "Klicks, Quoten, Reizwörter: Nachrichten-Sites im Internet" der Friedrich-Ebert-Stiftung stellten etwa fest: "Die wenigsten Klicks der verlegerischen Sites gehen auf redaktionelle Inhalte zurück. Die meisten Portale und wohl auch Zeitungen generieren nicht einmal ein Fünftel ihrer Zugriffe aus originären redaktionellen Texten." Das Gros der Klicks sei dem Einsatz von Bildergalerien, dem Zugriff auf Wertpapierdepots, Partnerbörsen, Aktienkurs-Abfragen, Job-Datenbanken geschuldet, die allesamt in die Klickstatistik einfließen.

Die Autoren Steffen Range und Roland Schweins bezeichnen dieses Verhalten als "Taschenspielertricks". Kein guter Weg, um sich als Printmedium im Netz zu etablieren. Dabei wäre das doch nötiger denn je. Denn an von Verlegern gerne lancierte Durchhalteparolen wie "Print wird nicht sterben!", "Print hat Zukunft!" glauben nur noch die allerwenigsten. Die Zukunft prägen, so darf man gemeinhin annehmen, vor allem die "jungen Leute". Und denen ist Print gelinde gesagt egal: Laut der JIM-Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest können unter den 12- bis 19-Jährigen nur zwei Prozent am wenigsten auf Zeitungen und nur vier Prozent am wenigsten auf Zeitschriften verzichten; das Internet (19 Prozent) und der Computer (26 Prozent) haben hingegen eine ungemein hohe Bindung. Die Zukunft von Print findet wohl online statt.

Dieser Beitrag erschien bereits am 03.09.2007 im Magazin euro|topics, einem Angebot der Bundeszentrale für politische Bildung.

Weitere Artikel zum Thema

"Rule online, Britannia?"
Wie sich die britische Zeitungsbranche den digitalen Herausforderungen stellt. "FAZ" vom 06.10.2007.

"Online versus Print – ein Verdrängungswettbewerb?"
Überflügelt das Internet die traditionellen Medien? euro|topics vom 03.09.2007.

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Im Internet funktioniert Journalismus anders als in den klassischen Medien. Deutschlandradio Kultur, Radiofeuilleton: Elektronische Welten vom 16.08.2007.

"Qualitätsjournalismus nach sueddeutsche.de-Art"
Das führende Internet-Angebot unter den Tageszeitungen, sueddeutsche.de, sieht sich dem “Qualitätsjournalismus im Netz” verplichtet. Die dort praktizierte Jagd nach den Klicks symbolisiert jedoch eher das Elend des Netzjournalismus. "Berliner Journalisten" vom September 2007, (PDF, 456 KB)
Susanne Ozegowski (Gast) - 2007/11/20 20:26

Verlorene Generation

Ein interessanter Artikel zu diesem Thema ist auch gerade auf den Seiten des European Journalism Observatory (www.ejo.ch) erschienen: Die Journalistin Marlis Prinzing stellt hier die Frage danach, wie das Konsumverhalten von Medien bei der jungen Generation aussieht: http://www.ejo.ch/index.php?option=com_content&task=view&id=1102&Itemid=167

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