"journalist"-Artikel: Zeitungs-TV per Videoclip

Artikel Internet-TV Journalist 2/2007
Zeitungs-TV per Videoclip

Den Tageszeitungen bieten sich vor allem im lokalen Bereich realistische Chancen, im Internet-TV Fuß zu fassen. Kurze Videos sind sowohl für das Publikum als auch für die Werbewirtschaft interessant.


Von Thomas Mrazek

Die Grenzen zwischen den Medien verschwimmen. Jahrelang war diese Aussage nicht mehr als eine Phrase, die bei Medienkongressen oder in Werbefachblättern verkündet wurde. Denn in der Praxis war nur wenig vom Verschmelzen bisher traditionell getrennter Kommunikationsbereiche zu sehen. Für die meisten Medien bot die so genannte Konvergenz kaum Anreize. Zeitungen engagierten sich daher im Internet nur mit gebremster Energie und gehörten eher zu den Verlierern im Netz.

Doch im Internet werden gerade mal wieder "die Karten völlig neu gemischt", stellt der Münchner Medienberater und Journalismus-Dozent Christian Jakubetz fest. Dabei bietet sich auch den Tageszeitungen die Chance, ins Internet-Fernsehen einzusteigen. "Bewegtes Bild ist inzwischen nicht mehr das Privileg der TV-Sender - gerade im Web", sagt Jakubetz. "Die Online-Angebote von ‚Spiegel' und ‚Focus' zeigen, dass man kein Fernsehveranstalter sein muss, um Fernsehen zu zeigen. Ich kann statt der Tagesschau auch die Abendnachrichten bei Spiegel Online anschauen. Alte Loyalitäten funktionieren im Netz nicht."

Das Internet-TV eröffnet laut Jakubetz gerade den Zeitungsverlagen neue Möglichkeiten: "Im Regionalen und im Lokalen gibt es so gut wie keine Bewegtbild-Angebote im Netz. Der Zustand der meisten Lokal- und Regionalsender ist nicht so, dass Zeitungen Angst davor haben müssten." Die Verlage hätten eine "starke Stellung am Markt, journalistische Erfahrung und Glaubwürdigkeit und eine ausgeprägte redaktionelle und technische Infrastruktur" vorzuweisen. Um ein attraktives lokales TV-Programm im Internet anzubieten, sei eine "nicht mal sechsstellige Anfangsinvestition" notwendig, sagt Jakubetz. Der Darmstädter Journalistikprofessor Klaus Meier rät Zeitungsverlagen dazu, jetzt Videos im Netz anzubieten: "Videos im Internet treffen die Interessen und Wünsche der Nutzer. Wenn man das nicht macht, koppelt man sich von der Entwicklung im Internet ab." Der Fachdienst "ibusiness" warnt: "Wenn die Lokalzeitungen hier nicht aktiv werden, werden Web-Portale dieses Geschäft machen."

Auf dem Weg
Das Thema Internet-TV sei bei deutschen Zeitungen "auf dem Weg", sagt Holger Kansky, Multimedia-Referent des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger. Kansky erwähnt den niederländischen Videonachrichtendienst Zoomin. 26 deutsche Zeitungen präsentieren derzeit auf ihren Internet-Seiten Videos von Zoomin. Der Dienst produziert nach eigenen Angaben "täglich zirka 150 Nachrichtenvideos in acht Sprachen aus den Rubriken Inland, Ausland, Börse, Sport, Film, Besonderes, Trends und Unterhaltung." Die Zusammenarbeit mit Zoomin sei für die Verlage "nur eine Vorstufe, um Erfahrungen mit dem neuen Medium zu machen," meint Kansky. Ziel sei es, selbst lokale Videoclips anzubieten und damit neue Vermarktungsmöglichkeiten zu schaffen.

Lokaler Durchblick mit dem Rheinblick
Der "Kölner Stadt-Anzeiger" hat diese Erfahrungen bereits gemacht. Neben den fertig gelieferten Zoomin-Angeboten stellt die Online-Redaktion seit November selbst produzierte Fernsehinhalte ins Netz. Kernstück des unter der Adresse www.ksta.tv erscheinenden Angebots ist die werktäglich um 16 Uhr aktualisierte Sendung Rheinblick: "Damit wollen wir ein Nachrichtenformat etablieren, dass schon am Nachmittag die wichtigsten Meldungen des Tages liefert - möglichst mit entsprechenden Videos. Dazu gibt es Wetter und Veranstaltungstipps für den Abend", erklärt Online-Chef Jürgen Oehler.

Mit der Nachmittagssendung wolle man vor allen die Nutzer in den Büros vor dem Feierabend erreichen. "Als Christoph Daum als neuer Trainer beim 1. FC Köln verpflichtet wurde, gab es bis zu 11.000 Video-Aufrufe", berichtet Oehler. "An ereignisarmen Tagen sank das Interesse schon mal unter die 3.000." Es komme jetzt vor allem darauf an, die Sendung "zu etablieren, zu optimieren und die anfangs neugierigen Besucher zu Stammkunden zu machen."

Im Vergleich zu dem von Zoomin zugekauften internationalen Agenturmaterial hat das lokale Fernsehangebot bis zu dreimal so hohe Zugriffsraten. Für Oehler beweist dies, "dass lokale Inhalte im Online-Angebot einer regionalen Tageszeitung die wichtigsten Inhalte sind".

Überzeugendes Format
Für die Produktion des Rheinblicks und der anderen Formate wurde ein Büro zum Studio umfunktioniert: "Wir arbeiten mit drei Kameras, Beleuchtung, Mikros, einer Greenbox und drei Schnittplätzen". Die Redaktion bestehe aus zehn "jungen" Mitarbeitern erklärt der 53-jährige. Es sind Diplom-Journalisten mit Technik-Schwerpunkt, Online-Journalisten und mehrere Freie mit TV-Erfahrung.

In der Redaktion habe es Vorbehalte gegenüber dem neuen Online-Projekt gegeben: "Natürlich machten sich einige Kollegen Sorgen, ob sie nun plötzlich auch Fernseh-Moderatoren sein müssten. Aber das muss keiner." Oehler reiche es, wenn erkannt werde, "dass eine Zeitung nur überleben kann, wenn multimedial gedacht und gearbeitet" werde.

Ganz lapidar ist die Produktion nicht, wie der Redaktionsleiter schildert: "Unser Nachrichtenteam startet um 9 Uhr, sondiert Termine; ein Filmteam fährt raus, dreht, schneidet, synchronisiert. Der Moderator schreibt seine Texte selbst, ein weiterer Mitarbeiter bereitet die Sendung vor. Da wird noch viel improvisiert, zumal ja immer wieder auf aktuelle Ereignisse reagiert werden muss. Aber um 15.30 Uhr steht die Sendung."

Sie kann dann zu jeder beliebigen Zeit von den Nutzern abgerufen werden. Länger als fünf Minuten dürfen solche Videos nicht sein, "denn die Zuschauer haben etwa im Büro nicht den Nerv, sich längere Beiträge anzuschauen", weiß Oehler. Der Rheinblick ist handwerklich solide Arbeit. Berater Jakubetz hält das Format für überzeugend: "Mit den Beiträgen gewinnt man vielleicht keinen Fernsehpreis; aber sehenswert und informativ sind sie allemal."

So viel Mühe wie beim "Kölner Stadt-Anzeiger" geben sich nicht alle Zeitungen bei ihren Experimenten. Manche blamieren sich sogar, wie etwa der Konstanzer "Südkurier". Auf dessen Internet-Seite gibt es seit November ein eher dilettantisches wirkendes Video online. Es zeigt ein Treffen von Bundespräsident Horst Köhler mit Amtskollegen aus Österreich und der Schweiz. Der einminütige Beitrag schreckt nicht nur wegen der miserablen Bild- und Tonqualität ab, sondern auch wegen des völlig belanglosen Inhalts: Horst Köhler entschuldigt sich für sein verspätetes Eintreffen.

Werbepotenzial
Solche Videos dürften bei den Nutzern kaum Geschmack auf mehr machen. Doch darum geht es schließlich: die Leser via Internet weiter an die Zeitungsmarke zu binden und den Werbekunden ein neues, attraktives Umfeld zu bieten. In die bewegten Bilder können wie im herkömmlichen Fernsehen Werbespots eingebunden werden.

Dabei stößt das Internet-TV jedoch an Grenzen: "Eine eingeblockte Werbung darf zehn Sekunden dauern, nicht länger. Ab 15 Sekunden gehen Online-User aus dem Angebot", sagt Jürgen Oehler. Und ergänzt: "Es müssen erst Werbefilme speziell für Online produziert werden."

Marktzahlen aus den USA versprechen auch für den deutschen Online-Werbemarkt zukünftig ein großes Potenzial. In den USA werden beispielsweise für 2008 Werbeeinnahmen von über einer Milliarde Dollar durch so genannte Video-Ads erwartet. In Deutschland entsteht dieser Markt erst. Multimedial arbeitende Zeitungen haben die Chance, von Anfang an vom Werbekuchen mitzubekommen.

Der Beitrag ist zuerst in ähnlich Form in der Medienzeitschrift "journalist" (Ausgabe 2/2007) erschienen.

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