Kaisers Diener – oder wie sich Münchner Medien zum Lakaien machen liessen

Nix Dramatisches ned?
Der unten aufgeführte Artikel ist im Februar 2002 im „journalist" erschienen. Ein Artikel vom Februar 2002 zu einer Wahl, die im Oktober 2001 stattgefunden hat? Nicht gerade topaktuell. Stimmt. Aber einige Bekannte baten mich, doch bitte noch mal diesen Artikel hervorzukramen; mach ich gerne, es ist keine Arbeit damit verbunden, vielleicht denkt mancher noch mal über das Thema nach.

Die Qualität der Berichterstattung einiger hier erwähnter Medien ist in den Folgejahren nach meinen Beobachtungen ohnehin nicht besser geworden, nein, sie ist sogar teilweise wesentlich schlechter geworden. Mancher Redakteur fühlte sich sogar regelrecht zum Kampagnero berufen. Aber das sind nur gefühlte Werte. Vielleicht sollte ich irgendwann dazu noch mal etwas Fundiertes nachlegen.


Kaisers Diener

Per Bürgerentscheid hatten die Münchner Ende Oktober darüber zu entscheiden, ob die bayerische Landeshauptstadt sich an den Kosten für ein neues Fußballstadion beteiligt. Im Rückblick wird deutlich: Die Medien haben einseitig Stellung bezogen.


Von Thomas Mrazek

„Ja zum neuen Stadion.“ So empfahl der Slogan der vom FC Bayern München und TSV München 1860 beauftragten PR-Agentur Abold. Die Bürger sollten im Oktober 2001 darüber entscheiden, ob die Landeshauptstadt sich an den Infrastrukturkosten für die neue Sportstätte beteiligt. Neben den beiden Bundesliga-Vereinen befürworteten der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude (SPD), die Münchner SPD, CSU, FDP, DGB, die bayerische Landesregierung, zahlreiche Verbände, Firmen, die Kammern und andere den kostspieligen Neubau.

Auf der Seite der Nein-Sager fanden sich die Münchner Grünen, die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP) und die Freien Wähler, eine Bürgerinitiative und Naturschützer. Schlagkräftigstes Argument der Gegner war die These, dass rund 350 Millionen Euro Steuergelder für ein privat genutztes Stadion ausgegeben werden, dessen wirtschaftlicher Nutzen für die Stadt München äußerst ungewiss sei.

Auch bei den Bürgern überwog laut Umfragen die Skepsis. Bei den Hauptnutznießern eines Stadions, den beiden Bundesligisten, läuteten daher die Alarmglocken. Allen voran Franz Beckenbauer, der Präsident des FC Bayern. Der von manchen Medien gerne als „Kaiser“ gehätschelte Ex-Kicker drohte: „Wenn der Stadionneubau scheitert, suchen wir Alternativen außerhalb der Stadt.“ Obendrein, polterte Beckenbauer weiter, würde München ohne das neue Stadion kein Spielort der Fußballweltmeisterschaft 2006 sein und das renommierträchtige Pressezentrum folglich nicht in der bayerischen Metropole residieren.

Aufklärungskampagne
Andreas Abold, Chef der PR-Agentur Abold, und zugleich ein enger Berater Beckenbauers, wusste den Kaiser zu beruhigen: „Unsere Aufklärungskampagne für den Nutzen eines Stadions und der WM für München steht erst am Anfang.“ Rund vier Wochen vor dem Abstimmungstermin begann die Kampagne. Münchens Straßen wurden mit Plakaten übersät, Aufkleber und Informationsblättchen an Passanten verteilt, Anzeigen in den Tageszeitungen geschaltet. Rundfunkwerbung indes ließ das Bayerische Mediengesetz nicht zu.

Mit Beginn der PR-Aktion beschäftigten sich auch die örtlichen Medien intensiver mit dem Thema. Einige dieser Medien tauchen überraschenderweise auch in einem internen Papier der PR-Agentur auf. In diesem Papier mit dem Titel „Werbemaßnahmen Bürgerentscheid Neues Stadion Fröttmaning“ sind über Wochen die Erscheinungs- und Sendetage redaktioneller Beiträge grob aufgeführt. So heißt es etwa bei Radio Energy: Täglich ca. 3 Prominenten-Sprüche erweitert zum Thema“, „Aktion ‚meet and greet’“ (ein Gewinnspiel, bei dem ein Abendessen mit Franz Beckenbauer als Hauptgewinn ausgeschrieben wurde).

Bei Radio Gong wird es konkreter. Dort vermerkt der Plan: „Diskussionsforen mit aufbereiteten Contra-Stimmen“. Stephan Schmitter, Chefredakteur von Radio Gong, räumt ein: „Eine positive Tendenz für den Stadionbau ist bei uns nicht zu leugnen.“ Und fügt hinzu: „Aber wir haben immer Argumente gegen Argumente gestellt. Meinen Sportredakteuren habe ich aber Freiheit bei der Bearbeitung dieses Thema gelassen, schließlich müssen die ja im Olympiastadion immer frieren.“ Sachgerechte Kritik am Stadionprojekt? Fehlanzeige. Der zum Kirch-Konzern gehörende Fernsehsender TV.München warb sogar mit dem offiziellen PR-Logo „Ja zum neuen Stadion.“ Nicht verwunderlich, dass eine Moderatorin versehentlich einen Bericht zur Wahl „für das neue Stadion“ ankündigte.

Nicht so schlimm
Die Bayerische Landeszentrale für Neue Medien (BLM) nimmt daran kaum Anstoß. Auf Grund einer Anfrage des „journalist“ forderte sie zwar von allen Münchner Hörfunksendern sowie von Antenne Bayern eine „Aufstellung über die Berichterstattung zur Stadionfrage“. Aber es habe sich herausgestellt, „dass allein die Berichterstattung von Radio Charivari als problematisch anzusehen ist“, teilte Pressereferent Wolfgang Flieger mit. „Radio Charivari hat in seiner Berichterstattung mehrfach die Hörer mittelbar und unmittelbar dazu aufgefordert, am Wahltag für das neue Stadion zu stimmen.“ Eine Anhörung des Senders steht noch aus.

Sonderlich aufmerksam war die Aufsichtsbehörde nicht: Auf der offiziellen Pro-Stadion-Website der Agentur Abold erscheint die BLM neben weiteren Medien als offizieller Unterstützer. Flieger: „Der Landeszentrale war zu keinem Zeitpunkt bewusst, dass sie auf den Internet-Seiten der Stadionbefürworter als Unterstützer genannt wird.“ Der Eintrag existierte freilich bis Redaktionsschluss immer noch (www.muenchenstadion.de/inhalt/teamgeist.php). „Wir unterstützen den Bau des neuen Stadions“, heißt es da. Ein Credo, dass sich auch „Bild“, „Abendzeitung“ und „tz“ zu Eigen machten.

In den letzten zwei Wochen vor der Abstimmung fand sich kaum ein kritisches Wort zum Thema Stadion-Neubau. Statt dessen schürten die Artikel täglich Ängste für den Fall eines „Neins“ und wiederholten gebetsmühlenhaft die vermeintlichen Vorzüge: „Schicksalsfrage für München“, („Abendzeitung“ vom 15. Oktober); „Das neue Stadion macht München reicher“ („tz“ vom 17. Oktober). Ungeniert wurden die Beiträge häufig mit dem offiziellen Logo der PR-Kampagne garniert; Prominente nahmen positiv Stellung.

Botschaft verstanden
Am Samstag vor der Wahl appellierte die „Abendzeitung“ in ihrem Aufmacher: „Stoiber, Ude, Beckenbauer bitten: Münchner, blamiert uns nicht!“ Aber die Münchner hatten die Botschaft längst verstanden: 65,8 Prozent votierten im Sinne des Kaisers und seiner Gehilfen. Am Tag nach der Wahl (22. Oktober 2001) gaben sich die Boulevardzeitungen euphorisch: „Superstadion wird gebaut: Riesen-Sieg für Kaiser Franz“ („Bild“); "JA!" („Abendzeitung“), „München sagt zum Stadion Ja“ („tz“). In den Jubelchor stimmte auch die PR-Agentur Abold ein – mit ganzseitigen Vierfarb-Anzeigen in „Abendzeitung“ und „tz“ und einer ganzseitigen Schwarzweiß-Anzeige in der „Bild“: „Wir sagen Danke!“.

Unbehagen erzeugte diese neue Art von Journalismus indes bei zwei Redakteuren von Münchner Boulevardzeitungen; sie wollten nicht namentlich genannt werden. „Die Berichterstattung war in den letzten zwei Wochen vor der Wahl völlig anders. Aber ich war ausführendes und nicht bestimmendes Organ und habe mir das Konzept nicht ausgedacht.“ Der andere meinte: „Wenn der Chefredakteur die Richtung vorgibt, dann müssen wir das halt auch so machen.“ Annette Knote, Stadiongegnerin von der ÖDP, bestätigt: „Einige Redakteure haben uns gesagt, dass sie trotz gegenteiliger Meinung zu dieser Art von Journalismus durch eindeutige Direktiven gezwungen waren.“

Nichts Anrüchiges am Verhalten der Medien findet indes Andreas Abold: „Die Medien berichteten sehr positiv für uns. Es lag in deren Interesse, dieses Thema so zu begleiten. Schließlich geht es um die Darstellung des Medienstandorts München.“ Hoch zufrieden äußerte sich auch Karl-Heinz Wildmoser (TSV 1860): „Presse und Rundfunk haben sehr gut über das neue Stadion aufgeklärt. Erst als die Verbände sich eingeschaltet haben, wurde etwas einseitig berichtet.“ Zu keiner Stellungnahme bereit waren die Vereinsspitzen des FC Bayern: Beckenbauer und Manager Uli Hoeneß.

Verärgert waren die Verlierer des Bürgerentscheids. Siegfried Benker, Fraktionschef der Grünen im Münchner Rathaus: „Es war den Gegnern des Stadions nicht möglich, ihre Argumente auch nur ansatzweise objektiv in den Medien zu transportieren. Wenn das Wort nicht so vorbelastet und anrüchig wäre, müsste man von einer ‚Gleichschaltung' reden.“

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